Bündner Perlen: «No Future – Absolut Porno» (2009)

Bündner Perlen: «No Future – Absolut Porno» (2009)

Hin und wieder gibt es Platten aus Graubünden, die nie eine grosse Medienaufmerksamkeit erhalten haben oder vielleicht schon in Vergessenheit geraten sind. Dieses neue Gefäss, exklusiv auf GRHeute, wühlt durch alte LP-Kisten, entstaubt CD-Sammlungen und widmet grossen Werken eine kurze, aber ausführliche Plattenkritik mit einem gehörigen Schuss Nostalgie. Einerseits zur Erinnerung, anderseits zur Aufstockung jeder Tonträgersammlung, aber vor allem um aufzuzeigen, welch vielfältige Bündner Musikszene wir doch haben.

Diese Perlen dürfen in keiner kompletten Bündner Musiksammlung fehlen. Willkommen zu den Bündner Perlen.

Ach, ich liebe die Band No Future einfach. Sie sind so verkannte Genies, welche die Pop- und Rockmusik in Graubünden seit Jahren aktiv mitgestalten. Aber ausser die Sklaven der Armee, aka Rekruten, kennen sie in meinen Augen viel zu wenige Leute ausserhalb von Graubünden. Diese Band mixt Stile, die so beim Notieren irgendwie gar nicht zueinander passen wollen. Reggae hat mir prinzipiell vor ihnen nie wirklich was gesagt. Zu happy und zu grün war mir diese Musik zu Beginn. Doch bei ihnen klangt der Stil aus Jamaika immer federleicht.

Doch wer jetzt denkt, No Future hätten nur Off-Beat-Nummern in Petto, der hat nicht viel von der unkonventionellen Arbeitsweise der Illanzer verstanden. Sie können grooven zu Ganjamusik, abrocken, als wären die Geister der Ramones in sie gefahren und im nächsten Moment wieder sanfte, gefühlvolle Balladen säuseln, die augenblicklich sehr tief gehen.

No Future ist vor allem eins: echt authentisch. Nie verbiegen sich die Illanzer. Sie leben seit Jahren den Moment und wer sie einmal live gesehen hat, weiss dass jede Momentaufnahme ihrer fulminanten Liveshows als ein unvergessliches Souvenir einer berauschender Partynacht für immer im Herzen zurück bleibt. Wenn man eine Band so langsam aber sicher als Legenden einstufen müsste, wären die Illanzer auf meiner Liste auf jeden Fall ganz weit oben.

Doch genug dazu. Lange habe ich abgewägt, welches No Future Album wirklich unverzichtbar ist. Eigentlich finde ich persönlich ja, als Jäger und Sammler von genialen Bündner Tunes, dass jedes ihrer Werke wichtig ist für eine komplette Bündnersammlung. Doch ich kann schlecht, eine ganze Diskografie einer Band für die Bündner Perlen verwerten.

Also habe ich mich für «Absolut Porno» entschieden. Der provokative Titel ist bei dieser CD wirklich Programm, denn es ist einfach auch ein paar Jahre später immer noch ein sehr geiles Album.
Nur schon der Einstieg mit «Hallo» ist ein echtes Feuerwerk. Hier zeigt sich die Liebe der Jungs zur Musik, dem Moment und vor allem eine gewisse «Underground- Stölze», die ich sehr schätze. Denn Musik muss nichts, kann aber alles. Nicht jeder der ein Instrument in die Hände nimmt, träumt auch gleich von einer Villa in Miami. Es gibt auch Personen wie sie und ich, die Musik als «Durch den Tag Bringer» brauchen und dies mit einem Schmunzeln so in die Texte verpacken. «We’re back» schlägt in die gleiche Kerbe. Es ist nämlich ein geiles Gefühl, wieder zurück zu sein mit neuer Musik und die Fans zu beglücken.

Der nächste Song «Liabi & Hass» zeigt lyrisch perfekt auf, wie unterschiedlich Frauen und Männer doch immer wieder sind. Hier ist auch erstmals die Gastsängerin Sabrina zu hören, die der bereits schon sehr starken Formation einen neuen Anstrich und mehr Abwechslung gibt.

Dann kommt bereits der Überhit «Immer denn», der eigentlich heute noch für jedes Wintersportgebiet als perfekter Werbesong dienen könnte.

Graubünden Tourismus, wär das nix?

Dies ist übrigens auch der Song, der auf einer meine Kompilations Platz fand, für was ich heute noch sehr dankbar bin. Denn, wenn No Future ein Thema wichtig ist, bringen sie es voller Leidenschaft rüber und schreiben nebenbei regelrechte Hymnen.

Ein weiterer Klassiker der Illanzer ist «Vo vorna», welches erstmals einen melancholischen Reggae in die Musiklandschaft Graubünden wirft. Der Track gehört zur Kategorie Aufsteller und ist ideal geeignet für Jemanden, der mal einen schlechten Tag erlebt. Diesen Song haben sie auch heute noch im Live-Programm. Wahrscheinlich, weil er einfach wahnsinnig tanzbar ist und einem automatisch ein Lächeln auf die Lippen zaubert.

Dann kommt der ultrapunkige «Miss Sexy», welcher auch heute noch ein regelrechtes Brett ist und einem den Kopf verdammt intensiv durchschüttelt. Die Bläser drücken nach vorne, die Gitarren sind on Point und angriffslustig, das Drum treibt und der Bass steht auch nicht hinten an. Ein typischer No Future-Song im Stil ihres RS-Klassikers «147 Täg» zudem noch mit einem mega witzigen Textes.
«Jeda ainzel Tag» greift nochmals ihres Bandmotto auf und animiert die Hörer kein Trübsal zu blasen, sondern für die eigene Zukunft die Zügel in die eigenen Hände zu nehmen.

Dann kommt das immer noch aktuelle «Gfanga» mit den zwei Rappern Wouso und Dachs, die damals mit ihrem Kollaboalbum einen kleinen lokalen Hype ausgelöst haben. Diese Zusammenarbeit klingt heute noch sehr frisch und ungezwungen. Damals war die grosse Zeit des Vernetzens. Ich erinnere mich noch an die Konzerte im Cubitus Felsberg und den Jungs, die da mitmischten. Zwei der besten Sachen, die aus dieser Zeit wie Denkmäler übrig geblieben sind, sind einerseits das schlichte und doch punktierte Artwork der CD; andererseits eben dieser Crossover-Track. Coole Sache, bei dem flimmern mir jedes Mal tausende Erinnerungen vor meinem inneren Auge auf.

Dann folgt mit «Ganja Man» für mich persönlich der schlechteste Track des Albums, was vor allem der Thematik und dem Klischee entsprechenden Reggeasong geschuldet ist. Entschädigung für den Fauxpas gibt’s gleich beim nächsten, unglaublich stampfenden «She went away». Ebenfalls sehr partytauglich, trotz tristem Thema. Dies ist eine grosse Stärke der Jungs, melancholische Themen so zu verpacken, dass der Hörer trotzdem mit einem Lächeln zurück bleibt.

Dann kommt die obligatorische Romanennummer «Nossa Via», welche sehr treibend ist und Lust darauf macht, vielleicht doch irgendwann mal ein paar romanische Wörter zu erlernen.
«Perfect» haut ziemlich drauf und schliesst den Kreis fast schon komplett ab. Doch für das Outro der CD kommt nochmals die Gastsängerin zum Tragen und singt eine berührende Ballade, die mir auch heute noch sehr nahe geht. «Ohni di» ist nachdenklich und behandelt eine persönliche Geschichte, die nur das Leben so tragisch schreiben kann. Sehr emotional.

Schlussfazit:
No Future hatte bei der zweiten Veröffentlichung, dank des Hits «147 Täg» auf dem Debüt kein leichtes Los. Doch was sie mit «Absolut Porno» auf die Beine gestellt haben, hat jegliche Erwartungen übertroffen. Hier wird Hit an Hit gereiht, ohne sich anzubiedern oder den Fokus auf das gemeinsame Ziel zu verlieren. Die Illanzer schreiben seit Jahren Hymnen, hier haben sie einige der wichtigsten Live-Hits auf einen Silberling gezaubert.

Leben im Moment, hier, wie ich persönlich finde, ist der perfekte Soundtrack dazu.

Seht euch die Jungs unbedingt mal live an, Termine gibt’s auf www.no-future.ch.

 

 

author

Chris Bluemoon

Redaktor Kultur
Hauptberuflich Radio-Journalist mit viel Leidenschaft für die Musik, die Poesie und das ganz grosse Chaos.