Der Lange Samstag hat geliefert

Der Lange Samstag hat geliefert

Es war ein Langer Samstag für die Geschichtsbücher: Insgesamt haben 28 Häuser über 22’000 Einzeleintritte verbucht. Es gab viel Neues zu sehen und einiges zu lernen. 

Station 1: «Tatort Chur. Wo Geschichte unter die Haut geht.»

Erfahren, dass das «Staubige Hüatli», in dem Jürg Jenatsch ermordet wurde, dort stand, wo sich heute das ehemalige Kantonsgericht befindet. Und was der Brunnen nebenan, der aussieht wie ein Augapfel, aus dem die Tränen fliessen, damit zu tun hat. Aber am Allerwitzigsten war folgende Geschichte (Kurz-kurz-Fassung!): Im Jahr 1986 wurde ein Geldtransporter für die GKB überfallen. Die Räuber waren mit dem Geldsegen überfordert, und weil einer der Räuber in einem Wirtshaus gehört hatte, dass man gewaschenes Geld wieder brauchen könnte, haben die Räuber das Geld, man will es wirklich nicht glauben, in einer Waschmaschine gewaschen. Und einen Teil des Geldes, auch das will man wirklich nicht glauben, im Garten an der Wäscheleine zum Trocknen aufgehängt. 

Die ganze Tour dauert anderthalb Stunden und wenn es auch nur halb so spannend ist wie die 30 Minuten am Langen Samstag, dann schwingen wir hier sehr, sehr gern die Werbetrommel.

Station 2: «Kunstmuseum. Leiko Ikamura. Das Meer in den Bergen.»

Immer auf der Liste: Das Kunstmuseum und die aktuelle Ausstellung. Man geht ja sonst fast nie ins Kunstmuseum… Aber am Langen Samstag immer. Die aktuelle Ausstellung ist von der japanischen Künstlerin Leiko Ikamura gemacht. Es gibt Bilder, Installationen und Skulpturen. Eine Meerjungfrau liegt auf dem Grunde eines Meers, über ihr schweben die Wellen – und wenn man sich ins Licht stellt, sieht man die Schatten von sich selbst. Sehr schön! 

Wer noch weniger als einmal im Jahr ins Bündner Kunstmuseum geht, dem sei auch die Dauerausstellung mit viel Kirchner und Giacometti (und anderen!) empfohlen. (Und danach zum Kaffee in die Villa Planta.) 

Station 3: «Tango Chur. Tango Crashkurs.»

Ein Saal, der sofort (eingebildete) Südamerika-Vibes versprüht, mitten in Chur. Keine schweren Vorhänge, man kommt zur Tür hinein und ist sofort im Correo drin. Ein schwarzes Klavier in der Ecke, Parkett auf dem Boden. Mittendrin Camilla Fontan und Matias Diaz, die einen die ersten Schritte zum Tango Argentino erklären. Jung und alt halten sich an den Händen, stehen sich im Weg und versuchen, den Spirit einzusaugen. Wunderschön! 

Man sagt, dass ein Tangokurs wie eine Ehetherapie ist. Kann sein – aber es macht in allererster Linie viel Spass und fordert Hirn und Herz. 

Station 4: «Stadtbibliothek. Sexarbeit in der Schweiz – Realität zwischen Alltag, Stigma und politischem Kampf.» 

Die Stadtbibliothek ist fast überfüllt. Auf einer kleinen Bühne Anja von der Aidshilfe Graubünden im Gespräch mit Sexarbeiterin Maya. Maya spricht über die Stigmatisierung als Sexarbeiterin; darüber, dass ein Verbot diesen Frauen auch jeglichen Schutz nimmt. Sie selbst arbeitet als Sexarbeiterin, weil sie in der Gastro trotz 120 Prozent Arbeit zuwenig verdiente, um ihr Leben zu finanzieren. 

Sexarbeiterinnen arbeiten. Sie sollten die gleichen Rechte haben wie alle anderen. 

 

Station 5: «Cuadro22: Lateena Plummer – Queer Dancehall Performance.»

Das Cuadro22 ist immer für eine Überraschung gut. Dieses Mal performte die selbsternannte «Dancehall Queen of Switzerland» verwandelte das Lokal in Chur West mit viel Bass und Stimme in einen heissen Kessel voller Lebensfreude. Das Publikum war sehr divers. Von jung bis alt tanzten alle mit. In den Nebenräumen durfte man Accessoires basteln und zum Tanzen anziehen. Verschiedene Künstler:innen zeigten musikalische Installationen mit Wassergläsern und Gitarrensaiten und aus einem Sarg lachte eine skelettierte Diva. Speziell und abgespacet, aber sehr herzerwärmend. 

Station 6: «Bahnhofstrasse. Begegnungen.»

Der Lange Samstag ist vor allem immer auch eins: Ein Raum für Begegnungen. Dieses Jahr gab es soviele wie noch nie. Menschen, die man schon lange nicht mehr gesehen oder jeden Tag sieht, aber es war einfach die Zeit da für interessante Gespräche in mitten des Getümmels und Gewusels. Es ist nicht immer so; in regnerischen Jahren bewegt man sich scheinbar allein durch die Gassen. Dieses Jahr blies der Föhn die Menschen durch die Gassen, liess sie stehen bleiben und miteinander ins Gespräch kommen. Bester Nebeneffekt!

Station 7: «Bilanz: Verein Langer Samstag.»

Über 22’000 Einzeleintritte, über 5000 Besucherinnen und Besucher. Das heisst: Jede:r Besucher:in hat vier bis fünf Veranstaltungen besucht. «Rund 18 Prozent der Tickets gingen an Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre, junge Erwachsene im Alter von 17 bis 25 Jahren bezogen 12 Prozent  der Tickets zum vergünstigten Tarif von 10 Franken und 72 Prozent gingen an Erwachsene ab 26 Jahren», schreibt der Verein Langer Samstag in einer Medienmitteilung vom Sonntag. «Mit dieser erneuten Steigerung des Publikumsinteresses reiht sich der diesjährige Lange Samstag in die meistbesuchten Austragungen des Churer Kulturfestivals ein.»

(Bilder: zVg/GRHeute/Yanik Bürkli. Das Bild vom Cuadro22 zeigt nicht Lateena Plummer, sondern den Act nach ihr; Drag Couenne – Performances in Moving Bling.)

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Rachel Van der Elst

Redaktionsleiterin/Region
Rachel Van der Elst mag Buchstaben: analog, virtuell oder überall, wo Menschen sind. In einem früheren Leben arbeitete sie unter anderm bei der AP, beim Blick, bei 20Minuten, beim Tages-Anzeiger und bei der Südostschweiz. In ihrer Handtasche immer dabei: Jasskarten.