Annahme der Kündigungsinitiative «wäre eine Katastrophe»

Annahme der Kündigungsinitiative «wäre eine Katastrophe»

Die Kündigungsinitiative – oder Begrenzungsinitiative – hat noch keine Mehrheit gefunden. In Graubünden hat sich der Widerstand überparteilich formiert und ist in den Abstimmungskampf gestartet.

Es ist kein Zufall, dass die Kampagne «Nein zur radikalen Kündigungsinitiative» in der Hamilton in Domat/Ems lanciert wird, an der Autobahn, die von und nach Italien  führt. Dass beim Grenzübertritt nur sporadisch kontrolliert wird, ist eine Folge des Schengener Abkommens. Dass Grenzgänger frei passieren können, ist wegen des Personenfreizügikeitsabkommens mit der EU, deren Mitglied Italien ist. Die Schweiz ist zwar nicht Mitglied der EU, hat ihre gegenseitigen Verbindlichkeiten aber im Rahmenabkommen, den sogenannten Bilateralen, geregelt.

Die Begrenzungsinitiative der SVP will diese Verbindlichkeiten beenden. Die Personenfreizügigkeit soll von der Schweiz selbst und ohne völkerrechtliche Verträge geregelt werden, heisst es im Initiativtext.

Im Showroom der Hamilton heisst die Begrenzungsinitiative, die von Nationalrat, Ständerat und dem Bundesrat abgelehnt wurde, Kündigungsinitiative und ist keine Option. Für die Hamilton wäre eine Annahme eine Katastrophe, wie Hausherr Andreas Wieland am Dienstag vor den Medien sagte. «Für uns ist der freie Marktzugang zentral.» Wie es anders sein könnte, hat er während des Lockdowns erfahren: Material, das aus Ländern ohne Verträge kam, konnte von einem Tag auf den anderen nicht mehr geliefert werden.

Bei den Begrenzungen geht es auch nicht nur um die Personenfreizügigkeit, sondern auch um das gesamte Paket der Bilateralen I, wie FDP-Ständerat Martin Schmid sagte. «Als die Verträge 1999 abgeschlossen wurden, hat man sich auf die sogenannte Guillotine-Klausel geeinigt.» Das heisst: Wird das Personenfreizügigkeitsabkommen gekündigt, fallen alle anderen Verträge auch weg. «Die jetzige wirtschaftliche Situation erträgt keine Experimente.»

Reisefreiheit in Gefahr

Auch Andreas Züllig, Gastgeber im Schweizerhof auf der Lenzerheide, ist der Experimente überdrüssig, wenn man so will: «Ein Nein zur Kündigung ist ein Ja zum Schweizer Tourismus.» Die für den Tourismus vorteilhaften Visaregelungen und die Reisefreiheit seien in Gefahr. Und aufgrund des Fachkräftemangels sei die Tourismusbranche zwingend auf europäische Fachkräfte angewiesen.

Diese Problematik sieht die Ilanzer Stadtpräsidentin Carmelia Maissen auch in der Surselva, wo gerade im Pflegebereich viele Angestellte aus dem Ausland kämen. «Wir haben immer mehr alte Leute, die gepflegt werden müssen», sagte Carmelia Maissen. «Es ist nicht realistisch, die frei werdenden Arbeitsstellen mit einheimischen Arbeitskräften zu besetzen.» Deshalb gelte auch: «Funktionierende Beziehungen, die zum Wohlstand beitragen, jetzt aufs Spiel zu setzen, ist deshalb verantwortungslos.»

Diese Worte unterschreibt auch Beno Niggli, Grossrat der BDP. Er weist darauf hin, dass auch die Landwirtschaft in der Erntezeit dringend auf ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter angewiesen ist. «Diese Helferinnen und Helfer kommen teilweise seit Jahren in die Schweiz und wissen genau, wie es funktioniert. Ohne sie wäre die hiesige Landwirtschaft nicht tragbar.»

«Nur die Schwachen sind zu teuer»

Die funktionierenden Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz sieht die SP-Nationalrätin Sandra Locher Benguerel auch in der Bildung. «Forschung und Innovation funktionieren nicht im stillen Kämmerlein. Für bestmöglichste Ergebnisse und Fortschritt braucht es Erfahrungs- und Wissensaustausch über die Grenzen hinaus.»

Was das vielbeschworene Argument der ausländischen Arbeitskräfte betrifft, die den Schweizern die Stellen wegnahmen, kommentierte Andreas Wieland so: «Meiner Meinung sind nur die Schwachen zu teuer. Unsere Arbeitskräfte werden nicht besser ohne Ausländer. Wir müssten die Einheimischen besser ausbilden.»

Die Abstimmung über die Kündigungs- bzw. Begrenzungsinitiative findet am 27. September statt.

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Rachel Van der Elst

Redaktionsleiterin/Region
Rachel Van der Elst mag Buchstaben: analog, virtuell oder überall, wo Menschen sind. In einem früheren Leben arbeitete sie unter anderm bei der AP, beim Blick, bei 20Minuten, beim Tages-Anzeiger und bei der Südostschweiz. In ihrer Handtasche immer dabei: Jasskarten.