Philipp Wilhelm: «Asyl in Graubünden – früher und heute»

Philipp Wilhelm: «Asyl in Graubünden – früher und heute»

GRHeute
16.02.2017

Portrait_Philipp Wilhelm„Ein steckbrieflich gesuchter Radikaler war dieser Spengler, der sich nach dem endgültigen Scheitern der europäischen Demokratiebewegung 1849 nur mit knapper Not über die Grenze retten konnte.“ Der Historiker Alfred Georg Frei beschreibt, wie der „Asylant Alexander Spengler“ aus einem stillen Alpenwinkel einen Welt-Ort machte.

Der Deutsche Arzt gründete den Höhenkurort Davos, der zum Asyl für tausende an Tuberkulose erkrankte Europäer wurde. Das Zusammenleben dieser unterschiedlichen Menschen förderte ein eindrückliches kulturelles Erbe hervor, das Nährboden für den heutigen Tourismus-, Forschungs- und Kongressstandort war. Spenglers Name lebt in dem von seinem Sohn gestifteten Hockeytournier, das die Alpenstadt immer zwischen Weihnachten und Neujahr mit Gästen füllt.

Wer glaubt, das Kommen Spenglers war selbstverständlich, irrt. Politische Flüchtlinge wurden oft abgeschoben. Bündner Studienfreunde aber kämpften für Spenglers Bleiberecht. Mit Erfolg. Und zum Glück. Denn bevor Spengler „Landschaftsarzt“ wurde, hatte Davos Mühe, diese Stelle zu besetzen. Der Fachkräftemangel ist so alt wie der Gesundheitsstandort selber – und Abhilfe kam damals wie heute aus dem nachbarlichen Ausland.

Schutzsuchende aber kommen heute aus andern Ländern. Sie fliehen wie damals Spengler vor Kriegen, Konflikten oder Diktaturen. Die kulturellen Differenzen sind grösser und stellen Herausforderungen. Integration ist das Wort der Stunde. Wie gelingt sie?

Ein Ansatz liefert Davos. Hier setzt sich seit acht Jahren die Bevölkerung mit dem Verein IG offenes Davos für ein gutes Zusammenleben aller ein. Freiwillige setzen auf Begegnung, auf Austausch und bieten den Neuankommenden Hilfe, um im neuen, anderen Leben klar zu kommen. Integration braucht Akzeptanz und sie geht schneller, wenn sich die Menschen möglichst schnell mit ihren Fähigkeiten in die Gesellschaft einbringen können. Darum müssen wir mehr als heute den schnellstmöglichen Spracherwerb und (Aus)Bildungsangebote fördern und eben auch Freiwillige besser in den Integrationsprozess einbinden.

Wir dürfen und müssen uns fragen, wie wir die Herausforderungen der Migration heute meistern. Konstruktive Lösungen sind da. Was wir nicht tun sollten, ist uns von Identitäts-Ängsten zu leiten. Denn: Der Asylsuchende Spengler prägte die Davoser Identität wie kaum ein anderer.

Kommentare

«Ihr Beitrag ist viel wert»

Lieber Philipp

Es ist in der Tat so, dass Integration ein wichtiger Aspekt ist für die Zukunft von anerkannten Flüchtlingen in der Schweiz. Der Austausch mit der einheimischen Bevölkerung stellt einen wichtigen Aspekt dafür dar. Denn neben dem Integrationswillen der Flüchtlinge selber, benötigt es auch Möglichkeiten zu einem solchen Austausch zu kommen. Da du im Speziellen die IG offenes Davos erwähnst, welche dazu ihren Beitrag leistet, möchte ich ergänzend auch all jene erwähnen, die ebenfalls als Freiwillige mit Asylsuchenden und Flüchtlingen aktiv sind. Es werden zusätzliche Deutschkurse angeboten, Nachhilfe gegeben, Bastelnachmittage, Cafétreffs und Kleiderbörsen organisiert. Die Anzahl aktiver Mitglieder der Facebook Gruppe „Bündner helfen Flüchtlingen“ ist nur ein Beispiel dafür. Diese Einzelpersonen gehen oft in der öffentlichen Wahrnehmung unter, gerade weil sie nicht als Verein organisiert sind und jeder von ihnen im Kleinen Gutes tut. Auch werden von den zahlreichen Freiwilligen, die es in den verschiedensten Bündner Vereinen gibt, viel Gutes geleistet: die Aufnahme im Verein wird erleichtert, Mitgliederbeiträge werden gekürzt oder Lizenzen gesponsert, Fussballturniere organisiert und vieles mehr. Ihr Beitrag ist viel wert und sie sind ein Beispiel dafür, dass es in Graubünden sehr viele Menschen ohne Identitätsängste gibt und diese willkommen heissen. Das Abstimmungsresultat vom Sonntag zur erleichterten Einbürgerung bezeugt dies eindrücklich. Danka Graubünde!

Salome Mathys, Vorstandsmitglied glp GR

 

«Den Willen, sich selbst zu integrieren…»

Philippe Wilhelm differenziert richtig, dass früher nicht gleich heute ist und dies aus verschiedenen Gründen. Bedauerlicherweise unterlässt er den ausschlaggebenden und wichtigsten Faktor für eine erfolgreiche Integration zu erwähnen. Einmal verfügte Alexander Spengler damals nicht nur über den gleichen sprachlichen und kulturellen Hintergrund, nämlich das aufgeklärte Europa, sondern er war tatsächlich ein qualifizierter Zuwanderer, mit entsprechenden Schulabschlüssen, welche er dann mit einem erfolgreichen Medizinstudium in Zürich krönte. Die Hürden für eine erfolgreiche Integration waren also bedeutend tiefer. Nicht vergessen werden darf zudem, dass seine erfolgreiche Integration nicht das Resultat von staatlich verordneten und finanzierten Coaching- oder Integrationsangeboten war, sondern das seiner persönlichen Bemühungen, unterstützt von seinem Umfeld.

Es ist richtig, dass Davos heute noch vom Schaffen Alexander Spenglers profitiert, welches auch von der Lebenshaltung Spenglers geprägt war, was kann ich für die Gesellschaft tun?

Es steht ausser Frage, dass die IG offenes Davos eine wertvolle Institution geworden ist, welche die Integrationsbemühungen der mittlerweile zahlreichen Personen des Asylbereichs unterstützen kann. Doch kann Integration tatsächlich extern mit Geld erwirkt werden? Wie erfolgreich ist die staatliche Integration tatsächlich, welche uns (Bund und Kantone) jährlich weit über 115 Mio. kostet, alleine im Kanton Graubünden (mit Bund und Gemeinden) waren es 2015 Fr. 4.7 Mio.?

Fakt ist, dass von den erwerbsfähigen Personen des Asylbereichs im Kanton Graubünden nur 17.9 % der Asylsuchenden, 43.5 % der vorläufig Aufgenommenen und 33.9 % der anerkannten Flüchtlinge am 31.12.2016 auch tatsächlich erwerbstätig waren und dies bei bestehenden staatlich verordneten und finanzierten Integrationsprogrammen. Ziemlich ernüchternd.

Es scheint vielmehr, dass diese staatlich verordneten Integrationsprogramme die Haltung vieler Personen des Asylbereichs, insbesondere auch der Flüchtlinge fördert, dass Integration eine Aufgabe des Staates ist und entsprechend auch deren Passivität bezüglich Eigenleistung. Und dies obwohl in der entsprechenden Verordnung, in Art. 4 (VintA) ausdrücklich auch der Beitrag der AusländerInnen gesetzlich verankert wäre:

  1. Respektierung der rechtstaatlichen Ordnung und der Werte der Bundesverfassung
  2. Im Erlernen der am Wohnort gesprochenen Landessprache
  3. In der Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen in der Schweiz
  4. Im Willen zur Teilnahme am Wirtschaftsleben und zum Erwerb von Bildung

Und damit kommen wir zum wichtigsten Faktor einer erfolgreichen Integration: es genügt nicht, dass der Staat entsprechende Coaching und Ausbildungsangebote kreiert oder Vereine die zu Integrierenden unterstützen. Es ist die Haltung der Personen des Asylbereichs und insbesondere auch der anerkannten Flüchtlinge, welche den Ausschlag für eine erfolgreiche Integration gibt. Der Integrationswillen und der Willen, an unserer Gesellschaft teilzunehmen, etwas zu unserer Gesellschaft beizutragen oder zurückzugeben, muss von den Migranten kommen. Dann und nur dann ist eine Integration tatsächlich möglich und damit kann die Herausforderung Migration tatsächlich erfolgreich gemeistert werden.

Valérie Favre Accola, Mitglied Parteileitung SVP GR/CH

 

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(Bild: GRHeute)

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