Geburtshilfe für Hochschulnieten?

Geburtshilfe für Hochschulnieten?

Eine jener Berufsgruppen, welche mir schon lange imponiert, sind die Hebammen: Sie übernehmen Verantwortung, haben einen gleichsam anspruchsvollen wie wundervollen Beruf und lassen sich selbstbehauptend von der Obrigkeit nicht einschüchtern. Bei denen, welche mir über den Weg gelaufen sind, dünkt mich, bilden gefestigte Persönlichkeiten das Fundament für solch eine Arbeit – beeindruckend!

Mein Blick schweift zu einer anderen Gruppe veritabler Tausendsassas. Das Schuljahr neigt sich merklich dem Ende entgegen. Schon sehr bald werden die neuen Bachelor-AbsolventInnen der Pädagogischen Hochschule Graubünden frisch gekürt ihren Weg als Lehrerinnen und Lehrer angehen und – Ihnen, werte Leserin, werter Leser verraten – auf eine Vielzahl dürfen sich die Schulen freuen: junge, enthusiastische, kluge und umsichtige Frauen und Männer, die in den besten Fällen gar mit heiligem Feuer unterm Hintern die Schulstuben dieses Landes bereichern werden. Noch ungetrübt. Ich kenne einige dieser zukünftigen Berufsleute: von Mittagessen, aus Beratungsgesprächen oder dem Schwatz am Pissoir an besagter Schule mit den bunten Werbeplakaten. Das Essen da oben ist übrigens ein Besuch wert, das Personal – von der Thekenfrau bis zur Küchenhilfe – stets aufgestellt und freundlich. Irgendetwas macht «le chef» dieser Küche richtig und wird so, möglicherweise unbeabsichtigt, eigentlicher Türöffner zum Tempel des Lehrens. Die Leitung der PHGR indes hält da nicht mit, irrt meines Erachtens gar in einigen Punkten ganz gewaltig. Einer sei an dieser Stelle benannt: Neben der Mehrheit der empfehlenswerten künftigen Lehrpersonen verlassen auch einige die hohe Schule, die ich persönlich nimmer auf Kinder und Jugendliche loslassen würde. Sicher haben sie die Hochschulbildung erfolgreich absolviert, will heissen, die Promotionsstufen einigermassen clever bestanden und sich durch das Studium durchgewurstelt. Vielleicht finden sich darunter gar echte Leuchten, beflissen und damit de facto hochschultauglich. Nur: Wer garantiert eigentlich, dass die StudienabgängerInnen über jene Persönlichkeitsmerkmale verfügen, die von einer Lehrperson erwartet werden dürfen? Wenn es an der PHGR weder eine Eignungsprüfung zu Beginn, noch promotionsrelevante Persönlichkeitsbildung im Verlaufe des Studiums gibt: Wie kann denn sichergestellt werden, dass den Nieten, den pädagogischen Taugenichtsen der Weg in die Praxis verwehrt bleibt? Wer siebt sie aus? Oder wird diese unliebsame Aufgabe den künftigen Schulleitungen delegiert?

Die Idee der Persönlichkeitsbildung ist nicht neu. Bereits in den Ausbildungsideen der Armenschulen, also jener sozialpädagogischen Erfindung, welche lange vor der Volksschule als eine Antwort auf die gesellschaftliche Notlage gegründet wurde und als eigentliche Vorläuferin der Volksschule gilt, lag das Augenmerk auf der Persönlichkeit des Armenlehrers. Der Schulpädagoge war immer auch Sozialpädagoge, das Profil des Armenlehrers war ungeschieden! In der Ausbildung sollten die Anwärter vor allem das erwerben, was man heute als soziale Kompetenzen bezeichnen würde. Ganz im Sinne Pestalozzis: «Diese Jünglinge müssen an Kraft und Gemeinsinn gewöhnt werden und nicht an Anmassungen des eitlen Wissens.»

Meine Erfahrungen mit einigen Exemplaren – wohlgemerkt einer deutlichen Minderheit – wirft einige Fragen auf, die sich die Hochschulleitung offenbar nicht stellt. Persönlichkeitsbildung müsste an der PHGR deutlich mehr Raum einnehmen. Und dieser Bedarf sollte zumindest einmal öffentlich diskutiert werden. Oder vollzieht sich die Ausbildungssteuerung des pädagogischen Bodenpersonals, das später in der «problematischen Organisation Schule» – Roland Reichenbach sei für die Bezeichnung gedankt – massig Soziales unter Beweis zu stellen hat, nur im didaktisch-methodischen Elfenbeinturm an der Scalärastrasse? Quasi abgeschottet von der Berufsrealität und ohne Strickleiter hinab in die Niederungen der Berufspraxis?

Der PHGR ist eine Geburtshelferin in Sachen Persönlichkeitsbildung zu wünschen;  menschliche Nieten sind in der anspruchsvollen Schulpraxis nicht zu gebrauchen und schaden Kindern, Jugendlichen, Familien. Und dem Ruf der Schule. Auch der Hochschule, die doch eigentlich eigener Bezeichnung nach «Pädagogisches» im Sinne hat.

PS: Das PS ist verwirrt ob dem Kurztripp nach Frankfurt. In den Häuserschluchten tanzt die Devianz und verkleidet sich da als Söldner des Finanzkapitals, dort als Abtrünnige im Mief der Moselstrasse. Was sie verbindet? Vielleicht lediglich das allgegenwärtig deutsche Lebensgefühl à la Hermanns, gebannt in roten Lettern auf weissem Grund: Frische Pommes. Lecker Wurst. Spitze Sößchen.

 

(Symbolbild: Pixabay)

Kolumnist Bildung & Soziales, Schulleiter, Dozent und eine COIRASONhälfte. Zum Essen trinkt er Rotwein, beim Schreiben Espresso.