Was hat Eishockey mit Boxen zu tun?

Was hat Eishockey mit Boxen zu tun?

Juerg Kurath
22.06.2018

Was hat die Mannschaftssportart Eishockey mit der Individualsportart Boxen zu tun? Wenn man diese Frage liest, kommen dem Normalsterblichen natürlich die Faustkämpfe auf dem Eis in den Sinn, wenn zwei oder mehrere Eishockeyspieler die Handschuhe ausziehen und sich wutentbrannt gegenseitig auf die Birne hauen. Im Gegensatz zum Boxen gibt das aber keinen K.o.-Sieg oder zumindest Punkte, sondern höchstens eine Verschnaufpause in der Kühlbox bzw. auf der Strafbank oder gar den Restausschluss. GRHeute ist der Frage nach dem Zusammenhang der zwei im Prinzip grundverschiedenen Sportarten nachgegangen.

 

Muhammad Ali, schon zu Lebzeiten zur Legende gewordener erfolgreicher Boxer, Philosoph und Grossmaul, gab im Laufe seiner Karriere einige unvergessliche Sprüche von sich. So sagte er vor seinem Kampf gegen Sonny Liston: „Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene“. Über sich selbst äusserte er sich wie folgt: „Ich bin so schnell. Als ich letzte Nacht das Licht in meinem Hotelzimmer ausgemacht habe, war ich im Bett, ehe es dunkel war“. Vor dem Kampf gegen Floyd Patterson meinte er: „Ich werde ihn so übel schlagen, dass er einen Schuhanzieher braucht, um seine Mütze aufzusetzen“. Und vor dem Kampf gegen George Foreman posaunte er heraus:“ Ich habe George Foreman beim Schattenboxen gesehen, und der Schatten hat gewonnen“.

Die Verbesserung der Konditionsfaktoren als Basis für den Erfolg

Muhammad Ali war aber nicht einfach ein dummer, hirnloser Sprücheklopfer, sondern liess dann seinen Worten zumeist auch beeindruckende Taten folgen. Er war ein herausragender Athlet, der alle Fähigkeiten besass, die einen erfolgreichen Boxer ausmachen: Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und Flexibilität bzw. Beweglichkeit. Die sportliche Leistungsfähigkeit wird nun aber auch noch von zahlreichen weiteren Komponenten bestimmt, die in einem engen Beziehungsgeflecht zueinander stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Dazu gehören die Technik, die sich aus koordinativen Fähigkeiten und Bewegungsfertigkeiten zusammensetzt, veranlagungsbedingte, konstitutionelle und gesundheitliche Faktoren, physische Fähigkeiten, soziale Fähigkeiten und taktisch-kognitive Fähigkeiten.

Muhammad Ali war als Mensch und Boxer eine absolute Ausnahmeerscheinung, weil er nicht nur ein richtiger Modellathlet, intelligent, selbstbewusst und redegewandt, sondern auch blitzschnell auf den Beinen und mit den Fäusten, ausdauernd, kräftig, beweglich und koordinativ begabt war, was er jeweils mit seinem „Ali Shuffle“ eindrücklich unter Beweis stellte. All dies verdeutlicht, dass ein seriös aufgebautes Boxtraining nicht einfach nur Selbstzweck ist, sondern ganz allgemein die vier Konditionsfaktoren verbessert. Die Frage, was Eishockey überhaupt mit Boxen zu tun hat, ist damit allerdings noch nicht beantwortet.

 

Konditionstraining des EHC Chur im Boxgym von Franco Passanante

Was aber macht einen guten Eishockeyspieler aus? Nun, die Antwort ist einfach: Er muss schnell und gewandt auf den Schlittschuhen sein, gleichzeitig den Puck unter Kontrolle haben und immer auch den Gegner und das Spielgeschehen im Auge behalten. Er muss aber auch ausdauernd sein und über das notwendige Stehvermögen verfügen, um sich zwischen den intensiven Shifts und in den Drittelspausen wieder erholen zu können. Auch muss er kräftig und furchtlos sein, um in den Zweikämpfen bestehen und sich durchsetzen zu können. Zudem ist die Kraft eine Voraussetzung für eine sichere Scheibenführung und eine optimale Schusstechnik, die einen harten und präzisen Schuss ermöglicht. Man könnte diese Aufzählung noch beliebig verlängern, um aufzuzeigen, wie ähnlich im Prinzip die Anforderungen dieser zwei unterschiedlichen Sportarten sind, die einerseits im Boxring und anderseits im Eisrink ausgetragen werden.

Das knochenharte Sommertraining ist auch bei den Eishockeyanern die zweifellos unbeliebteste Zeit, obwohl die Verbesserung der Konditionsfaktoren eine unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Saison auf dem Eis darstellt. Sicher auch deshalb hat sich Konstantin Kurashev, der neue Headcoach des EHC Chur, für den konditionellen Bereich der Vorbereitungsphase mit dem Einbezug von Franco Passanante, dem ehemaligen Boxweltmeister, etwas Besonderes einfallen lassen, was allerdings nichts Neues ist, zumal auch schon andere Sportvereine wie beispielsweise der SC Bern und der HC Davos ihr Sommertraining ins Boxstudio verlegt haben.

Seit anfangs Mai, das heisst seit rund acht Wochen wird viermal wöchentlich trainiert, wobei die Montagseinheit mit den beiden Schwerpunkten Kräftigung der Beinmuskulatur und spielerische Verbesserung der Koordination in der Turnhalle durchgeführt wird. Am Freitag steht dann auf der Rundbahn der Sportanlage Sand noch eine Laufeinheit mit Sprintserien und Intervalltrainings zur Verbesserung der Schnelligkeit und des Stehvermögens auf dem Programm. Am Dienstag oder am Donnerstag unterteilt in zwei Gruppen und am Mittwoch alle gemeinsam unterziehen sich die Spieler der ersten Mannschaft des Stadtclubs in den Räumlichkeiten der Boxschule „Der Boxer“ von Franco Passanante einem intensiven Konditions-, Kraft- und Ausdauertraining, das sie nicht nur enorm fordert, sondern nebenbei auch noch den Teamgeist fördert. GRHeute hat einem der Trainings beigewohnt und beim Zuschauen geschwitzt.

In einem kurzen Gespräch betonte Franco Passanante, dass in diesen Boxtrainings vor allem die Schwächen der Eishockeyaner gezielt trainiert und verbessert würden, das heisst das Kraftmanko im Oberkörper und in den Armen. Zuerst wird aerobicartig mit Musikbegleitung aufgewärmt, das heisst variantenreich gehüpft, wobei zwischendurch immer wieder Übungen wie Rumpfbeugen für die Bauchmuskulatur, Liegestütz für den Schultergürtel und die Oberarme sowie Rumpfheben für die Rückenmuskulatur eingestreut werden. Wenn nach gut einer halben Stunde alle klatschnass sind, beginnt in Gruppen aufgeteilt der technische Teil des Trainings, das heisst Partnerübungen mit Serien am Sandsack, mit kleinen Gewichten und mit Schlagtraining. Angestrebt wird dabei die Verbesserung der Ausdauer, der Schnellkraft, der Rumpfkraft und des Zweikampfverhaltens. Nach knapp eineinhalb Stunden ist der Spuk dann vorbei, wobei viel Schweiss geflossen, aber auch viel gelacht worden ist. Insgesamt wird sehr hart und konsequent trainiert, sodass die meisten Spieler schon grosse Fortschritte erzielt haben. Gewisse individuelle Unterschiede sind allerdings nicht zu übersehen.

Bis anfangs Juli findet das Training des Fanionteams des EHC Chur ausschliesslich Off-Ice statt, bevor am Freitag, 6. Juli der Startschuss zum Eistraining erfolgt. Die ersten Testspiele gegen den EHC Arosa sind am Samstag, 4. August um 20 Uhr im Sport- und Kongresszentrum in Arosa und gegen den HC Prättigau-Herrschaft am Dienstag, 14. August um 20 Uhr in der Eishalle in Grüsch angesetzt, während das erste Heimspiel am Samstag, 25. August um 20 Uhr im Thomas Domenig Stadion in Chur auf dem Programm steht.

 

(Bilder: Jürg Kurath)

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Juerg Kurath

Redaktor Sport
Langjähriger Berichterstatter des Bündner Sports, der BZ und der SO. Aktiver, Trainer und Funktionär in Leichtathletik, Triathlon, Biken, Volleyball, Fussball, Korbball, Handball, Casting und Bob.