BÜNDNER PERLEN: «DACHS – DR BUAB VOM 2. STOCK» (2010)

BÜNDNER PERLEN: «DACHS – DR BUAB VOM 2. STOCK» (2010)

Hin und wieder gibt es Platten aus Graubünden, die nie eine grosse Medienaufmerksamkeit erhalten haben oder vielleicht schon in Vergessenheit geraten sind. Dieses neue Gefäss, exklusiv auf GRHeute, wühlt durch alte LP-Kisten, entstaubt CD-Sammlungen und widmet grossen Werken eine kurze, aber ausführliche Plattenkritik mit einem gehörigen Schuss Nostalgie. Einerseits zur Erinnerung, anderseits zur Aufstockung jeder Tonträgersammlung, aber vor allem um aufzuzeigen, welch vielfältige Bündner Musikszene wir doch haben.

Diese Perlen dürfen in keiner kompletten Bündner Musiksammlung fehlen. Willkommen zu den Bündner Perlen.

Kurz vor meiner ersten Kompilation Bock uf Rock lernte ich 2008 Wouso und Dachs kennen. Neben Livty waren sie die ersten Rapper die ich persönlich kannte. Sie hatten damals gerade mit dem Kollabo-Album Jukebox einen gröberen Hype und ich bekam den Überhit „Nai Meitli“ für meine erste Kompilation, den ich heute noch sehr gerne höre. Daniel Brehm, wie Dachs damals mit richtigem Namen hiess, war für mich eine faszinierende Persönlichkeit. Düster und mystisch in einem. Er verwandelte freudige Beats in dunkle Manifeste und traf mich tief im Herzen mit seiner Melancholie. Sein Album „Drehendi Zeiger“ frass ich richtig. Doch das beste Werk, welches der Churer jemals verfasst hat, ist für mich immer noch sein Solo-Abschlussalbum „Dr Buab vom 2. Stock“.

Und um dieses Album, dass der Emser Toni White komponiert und Lou Geniuz produziert hat, geht es heute bei dieser Bündner Perle.

I löscha mini Tonbänder
Das Album beginnt mit hackendem Klavier und minimalistischer Instrumentierung. Dann folgen die ersten, traurigen Reime von Dachs. Der Beat setzt ein und auf die Hook folgt ein Gänsehautmoment, denn die Stimme im Hintergrund läuft mir jedes Mal eiskalt den Rücken hinunter. Der Song setzt sich auseinander mit der Musiksucht, die einem in den Wahnsinn treiben kann. Den Track höre ich gerne, wenn es mir mit dem ganzen Musikzeugs ein wenig zu viel wird. Sehr gelungener Opener für ein Werk.

Richtig Höll
Es geht nahtlos weiter. Mit einem souligen Sample geht Dachs auf seine Reiseleidenschaft ein und kratzt am Sinn des Lebens. Irgendwie gehört der Track zum Opener, da das Konzeptalbum durchgehend weiter geht.

Z› Rad dreht sich
Etwas ruhiger ist die dritte Nummer. Es scheint sich anzulehnen an ein literarisches Werk, das ich leider nicht kenne. Eine feine Sciencefiction-Story, die einem zum Nachdenken anregt und auch ein wenig verwirrt. Der Mensch ist machtlos gegen die Zeit.

Glichgwicht
Eine Brücke zu den nächsten Tracks, der schwebt und vor lauter Melancholie trieft. Ein Vorakt zum ersten grossen Hit des Longplayers…

Dr Buab vom 2. Stock
Die Audiobiografie eines Scheidungskind, die einem ein mulmiges Gefühl in den Magen wirft. Es nimmt einem mit in das Jugendzimmer des Churers und drückt einem tief in den Sumpf der Depression. Der Kinderchor im Refrain gibt einem den Rest. Eine Hymne für alle Scheidungskinder, die sich sicher in diesem Werk wieder finden. Zerbrochene Träume, Armut und Dämonen, die einem jagen. Sehr epochal emotional und grundehrlich.

Mis Gheimnis
Der Versuch Battlerap in das melancholische Werk einzubinden, ist phasenweise witzig, aber eher ein Track zum weiter skippen. Musikalisch sehr abwechslungsreich, lyrisch ein bisschen fehl am Platz.

A Fläscha Whisky (feat. Marten und Sniff)
Eine interessante Geschichte mit den zwei Jenazer Rappern Marten und Sniff. (Was machen die eigentlich?) Weltschmerz pur und der Mond ist Zeuge. Hier trifft Sozialkritik auf Melancholie. Schöne Bilder von einem Strand werden gemalt und laden zum Verweilen ein. Interessante Gäste und gegen den Schluss ein witziger Kinderreim.

I khör di
Oh Gott, wie viele Male habe ich den Track gehört. Dachs widmet seinem Tinnitus eine Ode. Zum Glück machte ich nie die Bekanntschaft mit diesem Phänomen, auch wenn im Ausgang an jedem Ecken ihre bittersüsse Versuchung durch laute Musik steht. Das Pfeifen im Ohr wird hier poetisch als laute Begleiterin umschrieben und wenn man nicht so richtig hin hört, versteht man es zu Anfang gar nicht wirklich.
Ein wunderbarer Song, der zur Vorsicht vor Lautstärke mahnt. Dachs trat ja wegen ihr zurück von seinen Konzertreisen…

I zeig dr schweba
Ein weiterer genialer Song, in der Dachs als Droge zu einem Mädchen spricht. Den durfte ich auf Bock uf Rap 1 verwenden, was mir heute noch sehr viel Freude bereitet.

Im Johr 2309 (feat. Wouso)
Dieser Song hat mir irgendwie nie so wirklich gefallen. Seine Kollabos mit Wouso sind zum Teil sehr gelungen. Doch dieses Stück hat mich nie wirklich berührt.

Interlude
Das Instrumentalstück hört sich zerbrechlich und traurig an, leitet aber perfekt vom Vorgängertrack zum zweitletzten Lied der CD.

Nochrichta us Gaza
Die Flüchtlingsgeschichte ist tragisch und doch so real und zeitlos. Durch die Abstumpfung der Kriegsberichtserstattung der Medien vergisst man vielfach, dass das auch Menschen wie du und ich sind, die in diesen Geschichten ihre Liebsten verlieren. Diese Geschichte hier nagt einem am Herz, denn es zeigt einem, in welch kalter Zeit wir doch leben.

Miar gsehn üs wieder
Etwas versteckt am Schluss ist mein persönlicher Favorit von Dachs versteckt. Der Song über seinen Grossvater und die letzten Stunden mit ihm, läuft mir jedes Mal eiskalt den Rücken runter. Es ist seine Ehrlichkeit, die diesen Moment so bildhaft und greifbar machen. Ich hatte beim ersten Mal wirklich Tränen in den Augen, als ich den gehört habe, da alles so bekannt vor kam. Wahnsinnstrack!

Schlussfazit:
Dr Buab vom 2. Stock lässt keine Fragen offen. Es ist ein düsteres Konzeptalbum, das im Herbst immer wieder gerne in meinem CD-Player läuft. Ein Abschieds- und Aufbruchsalbum hat der Churer Rapper Dachs hier gezimmert, das wie ich finde, sehr durchdacht ist. Auch wenn gewisse Songs nicht immer perfekt sind, hinterlässt es doch Bilder im Kopf, die einem in Melancholie suhlen lassen. Ein sehr stimmiges Werk, musikalisch aus einem Guss und leider, in meinen Augen, zu wenig beachtet. Toni White und Dachs, das hat einfach gepasst. Schade, kommt da nichts mehr.

author

Chris Bluemoon

Redaktor Kultur
Hauptberuflich Radio-Journalist mit viel Leidenschaft für die Musik, die Poesie und das ganz grosse Chaos.