Bluemoon’s Blog: Archivperlen – Das Ende der Sehnsucht Teil 4/13 (2006)

Bluemoon’s Blog: Archivperlen – Das Ende der Sehnsucht Teil 4/13 (2006)

Kürzlich durchforstete ich mein Archiv und fand darin unverwendete Perlen. Nun werde ich in unregelmässigen Abständen hier auf GR Heute, Geschichten, Gedichte und anderes Chrüsimüsi publizieren. Mit 18 schrieb ich ein Buch, druckte es als ich 20 wurde 50 Mal und wenig später verschwand es dann wieder von der Bildfläche. Nun möchte ich es euch hier nicht vorenthalten. Diese Perle hier stammt aus dem Jahre 2006. Viel Spass damit!

 

So, so jahrelang interessierte sich kein Schwein für ihn und nun schrieb ihm urplötzlich eine Frau, die ihm wildfremd vorkam. Klar trank er hin und wieder einen Café im Bistro am Bahnhof, aber er hatte bisher nie bemerkt, dass dort eine Dame arbeitete, die Angelina hiess.

Naeco kannte tatsächlich alle die Damen beim Namen, aber eine Dame mit diesem wohlklingenden Namen kannte er gewiss keine. Nach längerem Überlegen konnte er sich auch wieder an das Gedicht erinnern, welches in seinen Augen nicht eines seiner Besten war und doch schmeichelte es ihm, wenn sein Hobby respektive seine Berufung dermassen geschätzt wurde.

Er warf eigentlich fast alle Gedichte, die er schrieb weg, weil er eigentlich immer dachte, sie nützten ihm sehr wohl als Therapie, aber nicht für viel mehr. Naeco sammelte eigentlich nur Gedichte anderer grosser Dichter und Poeten, die er in seinen Augen nie nur halbwegs erreichen konnte, was ihm aber auch nicht viel ausmachte.

Jetzt war Naeco ein wenig hin und her gerissen. Sollte er zurück schreiben? Es könnte ja sein, dass sich jemand hier einen üblen Scherz erlaubte und ihn gedachte sehr intensiv zu verarschen. Oder war es doch eine Frau? Irgendjemand hatte einmal gesagt: „Leben ist das, was passiert, wenn man es am wenigsten erwartet.“ Dieser Satz machte für Naeco nun Sinn, denn er erhoffte sich so etwas schon seit langer Zeit, doch hätte er es nie im Leben gewagt zu erwarten.

Nun stand er vor der Qual der Wahl. Er konnte sich auf das Ganze einlassen, vielleicht eine wunderbare Frau kennenlernen, in die man sich verlieben konnte und die schlichtweg das fehlende Puzzleteil zu seinem Plan war. Auf der anderen Seite könnte er gradewegs in die Arme seiner Feinde laufen und eine riesige Enttäuschung erleben. Naeco dachte sehr lange nach. Wer konnte ihm so etwas antun wollen? Wer waren seine Feinde? Er kam zum Schluss, dass diejenigen, die er als Feinde betitelte, nur er nicht mochte und dass er keine Ahnung über deren Gefühlswelten hatte, geschweige denn wusste, ob sie ihn auch nicht mochten.

Grundsätzlich interessierte es ihn auch nicht, da er so oder so mit solchen Leuten nichts am Hut haben wollte. Er zog sein Resumé und merkte, dass es keine potentiellen Personen gab, die ihm so etwas an zu tun willig waren. Dies war irgendwie noch ein ganz entspannendes Gefühl, welches seine erleichternde Wirkung ausstreckte, wie ein Vogel seine Flügel. Also konnte er es ja einmal versuchen. Doch wollte er nicht übereilig und unüberlegt handeln, denn so konnte ja schliesslich vieles kaputt gehen, schon lange bevor es überhaupt richtig zu Stande gekommen wäre. Jeder Satz sollte perfekt sein. Man sollte nicht denken, das Ganze wäre ihm etwa egal. Naeco wollte den besten Eindruck erwecken, der in seiner Macht lag. Für dies war es nun aber nicht sehr gelegen.

Daher wollte er immerhin ein Mal darüber schlafen und eventuell seine goldenen 15 Minuten benutzen. Zwei Tage zogen ins Land bis Naeco einen Versuch startete, ihr mit möglichst intelligenten Wörtern zurückzuschreiben. Dies war ihm ein wenig ein Unterfangen, da seine letzten Briefe ewig lang zurücklagen. Er hatte vor gut zehn Jahren einmal für längere Zeit eine gleichaltrige Brieffreundin gehabt, doch wie viele dieser Sachen im Leben eines jungen Mannes endete auch diese Freundschaft. Seit dem hatte er eigentlich nie mehr Briefe geschrieben, mit Ausnahme der jährlichen Schweinefeste, wo er allen Bekannten gratulierte, schöne Weihnachten oder was auch immer wünschte.

Doch die drei viertel sätzigen kurzformatigen Nonsensebriefe waren nichts im Vergleich zu wunderschönen, langen in Bildersprache geschriebenen Briefe, die einem im Herzen berühren konnten. Das Ganze war zwar schon nur ein ganz normales Email und doch lag es Naeco sehr am Herzen, es möglichst perfekt hinzubekommen.

Also nahm er dann einen Fetzten Papier und begann zu schreiben. Es war einfach verdammt schwierig; nicht vergleichbar mit Gedichten, die ihm relativ leicht von der Hand gingen. Ja, er hatte sichtlich Mühe und die Brieftricks, die er als 15-jähriger noch intus hatte, waren irgendwo im Nirgendwo auf der Strecke zurückgeblieben. Doch jetzt riss sich Naeco richtig zusammen und gab sein Bestes. Wie sollte er beginnen? „Hallo“ war einfach ein wenig banal. „Liebe Angelina“ war ihm ein wenig zu brüsk und aufdringlich und „sehr geehrte Angelina“ war ihm dann doch auch ein wenig zu formell und hochgestochen. Naeco hatte nun schon drei durchgestrichene Anfänge auf seinem Tisch. Mein Gott, das begann ja schon ganz genial.

Er holte sich kurz ein Bierchen und auf dem Rückweg kam ihm plötzlich etwas in den Sinn. Es wäre doch auch noch ganz cool mit seinem selbstgedichteten „Heylaz“ das Mail zu beginnen. Er konnte die Existenz dieses Wortes weder hundertprozentig abstreiten noch ganz klar bejahen. Dieses Wort hatte genau die nötige Coolness, um bei Frauen einen witzigen Eindruck zu hinterlassen und ironisch auch ein wenig arrogant zu wirken, denn wahrscheinlich alle dachten es sei ein Wort einer Sprache, der nur besonders Privilegierte mächtig waren.

Erstaunlich wie viele debile Gedanken man sich eigentlich innerhalb von wenigen Sekunden machen konnte. Auf jeden Fall war das Wort der ideale Anfang und genau das, was er gesucht hatte. Es war etwas spezielles und nichts gerade alltägliches. Komischerweise ging ihm der Rest des restlichen Textes relativ leicht von der Hand.

Er fragte, was ihn gerade so wunderte. Wer war diese Frau? Was waren ihre Träume? Von wo kam sie und wohin wollte sie gehen? Alles floss aus ihm heraus und er malte Fragen auf das Papier vor ihm. Danach erzählte er kurz aus dem Buch seines Lebens und gestaltete ihr einen kurzen Einblick in sein bisheriges Erdendasein. Am Ende war Naeco mit Stolz erfüllt und voll befriedigt. Nun war es an der Zeit seine Phrasen abzutippen und ihr zu senden. Ihre Mailadresse fand er irgendwie noch cool, da sie ganz normal in Form ihres eigenen Namens daherkam.

Er mochte keine solcher Leute, die sich selbst in anderen Häuten darstellten und somit die anderen täuschten. Dies war schon alleine mit einem Emailadressspitznamen möglich und wurde leider von vielen Leuten auch getätigt. Naeco fiel gleich ein Stein vom Herzen, als er die Bestätigung des gesendeten Emails auf dem Bildschirm sah. Er hätte nie gedacht, dass eine Email für ihn so eine Zangengeburt sein könnte. Naeco stürzte sich in sein viel zu grosses Doppelbett.

Die Sonne war inzwischen über alle Berge und schien nun in Amerika. Der Herbst hatte voll und ganz Einzug gehalten. Die Nacht schlich wie ein Gespenst ums Haus und erkühlte mit ihrer Dunkelheit alle Gläser auf den Wiesen und liess die letzten Blumen sterben. Naecos schwere Augenlieder fielen langsam zu. Seine Träume drehten sich nur um sie. Ihm schwebten Bilder vor, wie sie an einem Frühlingsbrunnen stand und sich langsam hinunter neigte, um Wasser von ihrer Hand zum Mund zu führen. Sie war wunderschön. Langsam näherte sie sich ihm und verliess den Brunnen. Erst jetzt sah er ihr engelhaftes Angesicht und küsste ihre watteweichen Lippen. Beide flogen Richtung Sonne und Naeco zog sie so fest er konnte an sich. Plötzlich öffnete er seine Augen und bemerkte total frustriert, dass er in seinen Armen nur sein Kissen und nicht die unbekannte Schöne festhielt und küsste.

Ein wenig verwirrt und dusselig blickte er auf seine Uhr. Mein Gott, es war erst 3 Uhr mitten in der Nacht. Naeco ging kurz ins Bad, um etwas Wasser zu trinken, denn er konnte jeweils besser schlafen mit etwas flüssigem intus. Er sah in den Spiegel und ein Mal mehr konnte er sich darin nicht wiedererkennen. Doch irgendwie war er im Moment nicht wirklich in Stimmung sich auf Diskussionen mit seinem Gewissen einzulassen.

Ausserdem war die Jahreszeit ja in etwa gleich zum Kotzen wie sein Gesicht. Ein kleiner Moment Stille. Etwas surrte da doch noch irgendwo… Scheisse, er hatte prompt vergessen den Computer auszuschalten. Ok, vergesslich zu allem hinzu auch noch. Tja, man kann nicht alles haben und ab und zu sogar gar nichts. Doch ganz richtig war der Gedanke dann doch nicht, denn auf dem Bildschirm glänzte eine neue Email. Naeco freute sich immer neue Mails zu bekommen.

Heute freute er sich dazu noch ganz speziell, da er ja noch eine Mail von Angelina erwartete. Also klickte er doppelt auf den Posteingang. Sein PC hatte wieder einmal Ewigkeiten, was ihn aber nicht aufregte; es zerriss ihn aber beinahe vor Vorfreude. Da sah er, tatsächlich es war eine neue Mail, doch zu seiner Verärgerung nur eines dieser lästigen Werbemails, das er nicht einmal las, sondern direkt löschte.

Eine schlechte Nacht blieb eben doch eine schlechte Nacht. Naeco war total genervt und wollte einfach nur noch schlafen gehen. Vielleicht schrieb sie ihm ja erst morgen oder so. War ja auch kein Problem; er hatte Zeit und auch noch anderes zu erledigen, beispielsweise genügend zu schlafen. Dies war auch nicht mehr sehr schwer, da Naeco nun so frustriert war, dass er gleich einschlief. Was er nicht wusste, war dass Angelina genau zehn Minuten später ihr Retourmail abschickte und sich danach in ihr Bett hinab sank.

Hätte er noch ein wenig gewartet, wäre er wahrscheinlich die ganze Nacht lang wach gelegen. Die Frage blieb offen, was nun besser gewesen wäre….

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Chris Bluemoon

Redaktor Kultur
Hauptberuflich Radio-Journalist mit viel Leidenschaft für die Musik, die Poesie und das ganz grosse Chaos.