«Dschungelfangis» mit Flüchtlingskindern

«Dschungelfangis» mit Flüchtlingskindern

Nach wochenlanger Brieffreundschaft haben sich zwei Schulklassen aus Zizers und dem Transitzentrum Trimmis live und in Farbe getroffen. Die Erwartungen wurden auf beiden Seiten erfüllt.

Wie stellt man sich jemanden vor, den man nur aus Briefen kennt? Von dem man weiss, dass die Mutter in der Türkei geblieben ist? «Ich wusste, dass sie gross ist. Sie ist zwölf», sagt Melanie über ihre Brieffreundin. Oder Louisa, die zwar nicht erklären kann, wie sie sich Eden aus Eritrea vorgestellt hat, «aber auf jeden Fall ganz anders als sie aussieht.» Louisa hat keine Ahnung, wo Eritrea liegt. Aber das spielt auch keine Rolle, denn wie Lia treffend zusammenfasst: «Sie sind alle ganz normal.»

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Die Lehrerinnen – Nadia Collenberg und Heilpädagogin Andrea Meiler aus Zizers, Sulea Bernhard aus Trimmis – können dem nur zustimmen. «Man merkt wirklich keinen Unterschied», sagt Nadia Collenberg, die sich mitten ins Getümmel stürzt. «Das Getümmel» nennt sich Dschungelfangis und bedeutet, dass die 11 Schülerinnen und Schüler aus Zizers alle nur erdenklichen Geräte in der Turnhalle aufgestellt haben und auf dem darauf entstandenen Parcours mit den neun Besuchskindern aus Trimmis Fangen spielen. Wer gechickt – das neue erwischt – wird, muss eine Runde rennen.

Die Kinder sind mit Feuereifer dabei. Die anfängliche Scheu legt sich im Sekundentakt; schon bald ist es, als ob die Kinder sich jeden Tag sehen würden. «Sie sind, nicht zuletzt dank der Freiwilligen, sehr gut integriert», sagt Sulea Bernhard. Alle sprechen und verstehen Hochdeutsch. «Kinder lernen schnell, und man merkt auch, wenn jemand schon länger hier ist.» Sie ist ein Leuchtturm für die Kinder, immer wieder kommt eines und lässt sich von ihr in den Arm nehmen. «Diese Kinder sind fast Tag und Nacht zusammen, sie sind wie eine grosse Familie.»

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«Weisst du, wieviele Freunde mein Vater hat? Es sind Millionen», sagt der zehnjährige Snur, der mit seinen Eltern und seinen drei Brüdern aus dem Irak hier her geflüchtet ist. Der Junge imitiert eine Schiesserei, wie man es sonst nur aus der Tagesschau kennt. Er habe, sagt er, gesehen, wie Gute von den Bösen erschossen wurden. «Mein Vater war einer von den Guten.» Snurs Zukunftspläne: «Erst arbeiten, dann heiraten», sagt er und lächelt verschmitzt. Er will Lehrer werden.

Zum Abschluss des Nachmittages dürfen die Trimmiser Kinder das Schulzimmer ihrer Brieffreundinnen und Brieffreunde besuchen, wo die Zizerser Kinder noch eine kleine Überraschung vorbereitet hatten: einen neuen Brief. Zusammen wird er aufgemacht und noch an Ort und Stelle gelesen. Es ist, nach dieser gemeinsamen Turnstunde, wie wenn sie sich schon ihr ganzes Leben kennen würden.

 

(Bilder: GRHeute)

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Rachel Van der Elst

Redaktionsleiterin/Region
Rachel Van der Elst mag Buchstaben: analog, virtuell oder überall, wo Menschen sind. In einem früheren Leben arbeitete sie unter anderm bei der AP, beim Blick, bei 20Minuten, beim Tages-Anzeiger und bei der Südostschweiz. In ihrer Handtasche immer dabei: Jasskarten.