Bündner Perlen: «Hades – L’Ovra» (2004)

Bündner Perlen: «Hades – L’Ovra» (2004)

Hin und wieder gibt es Platten aus Graubünden, die nie eine grosse Medienaufmerksamkeit erhalten haben oder vielleicht schon in Vergessenheit geraten sind. Dieses neue Gefäss, exklusiv auf GRHeute, wühlt durch alte LP-Kisten, entstaubt CD-Sammlungen und widmet grossen Werken eine kurze, aber ausführliche Plattenkritik mit einem gehörigen Schuss Nostalgie. Einerseits zur Erinnerung, anderseits zur Aufstockung jeder Tonträgersammlung, aber vor allem um aufzuzeigen, welch vielfältige Bündner Musikszene wir doch haben.

Diese Perlen dürfen in keiner kompletten Bündner Musiksammlung fehlen. Willkommen zu den Bündner Perlen.

Ich kann ja bekanntlich sehr schlecht Romanisch. Obwohl meine Mutter aus Lain stammt, hat sie es versäumt uns die rare Sprache einzuflössen. Als Kind hat mir das nix ausgemacht, doch als ich in die Oberstufe kam und plötzlich langsam verstand, was sie da mit der Tante am Telefon sprach, wurde mir etwas bewusst. Ich hatte eine Sprache verpasst, die einerseits vom Aussterben bedroht war und auch immer noch ist, anderseits hätte diese Sprache mir bei vielen Fremdsprachen massiv geholfen. So blieb Romanisch für mich immer die Sprache der Verwandtschaft Bergamin und es ärgerte mich später immer mehr, dass ich als Kind so naiv war und nie richtig zuhören wollte.

Die Jahre zogen ins Land und ich wurde erstmals so richtig Fan einer Gruppe mit romanischen Texten, AndaRojo. Klar gab es noch die Liricas Analas mit ihrem Rap Rumantsch, aber irgendwie hatte ich mich damals auf den Rock eingeschossen. Zum Glück bin ich heute ein wenig offener und höre verschiedenste Stile. Ebenfalls lernte ich die Jungs von den Liricas über die Jahre hinweg kennen und bin froh, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.

Doch zurück zum Thema: Ich verstand kein Romanisch und begann selbst Musik zu machen. Hier begegnete mir die Romanische Sprache ein zweites Mal, jedoch dieses Mal nicht mit einer mystischen Aura, sondern mit einem ziemlich hässlichen Gesicht. Sie ahnen es, es geht um Geld. Einen grossen Teil meiner Arbeit habe ich selbst bezahlt und mich gar verschuldet für meine Kompilations. Lange frass mich der Futterneid von innen auf und ich dachte mir, dass die Romanen einzig wegen ihrer Sprache Berge an Geld nachgeworfen bekommen. Deshalb wollte ich damals abgesehen von AndaRojo mit niemandem aus diesem Kulturkreis zu tun haben. Es ging eine gewisse Zeit, bis ich merkte, wie dumm und naiv ich eigentlich war. Denn eine aussterbende Sprache in Noten zu verpacken und so dem Mainstream zugänglich zu machen, ist alles Geld der Welt wert. Und sowieso, wenn wir gleich bei den Sponsorings und Preisen sind: Es gibt keine Fairness, nur Cleverness. Vor etwa zehn Jahren habe ich gelernt, mit Rückweisungen umzugehen und anderen auch mal was zu gönnen. Auch wenn ich heute noch Mühe damit habe, phasenweise in alte Muster zurück zu kippen, ich nehme mich jeweils an der Nase. Wir sollten aufhören, den anderen Musikern ihren Erfolg zu missgönnen und uns einfach mitfreuen. Denn ein ganzes Jahr Party klingt interessanter als ein ganzes Jahr Ärger.

So, das war jetzt genug philosophischer Exkurs, back to business. Kurz vor Weihnachten im letzten Jahr schrieb mir jemand via Facebook. An den Namen erinnere ich mich nicht mehr so genau, doch er sprach irgendwas von einer romanischen Rockband, die ich bis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch nicht kannte. Sonst mit Bands aus Graubünden bin ich ja eigentlich ziemlich sattelfest, wage ich zu behaupten. Die Band heisse Hades, und er würde mir gerne einen Tonträger der Jungs senden, die wären echt noch was für die Bündner Perlen. Es war zwar ein langer Weg, aber hier sind wir nun also. Wie ich dem Booklet in meinem brüchigen Romanisch entnehmen kann, bestand die Band von 1983 bis 1993, also sicherlich länger als ein Grossteil der heutigen Bündner Bands. Sie haben drei Cds produziert, und vor mir liegt nun ein Zusammenschnitt aller drei mit dem Titel L’Ovra. Da mein neuer W-Lan-Router aktuell so ziemlich am Abserbeln ist, (danke Swisscom!) muss ich leider auf weitere Recherchen im Moment verzichten. Also Musik an, Welt aus:

Opiniuns 1984

Arva tes egls
Ich muss schon stark schmunzeln. Die Achtziger haben auch vor der Romanischen Musikwelt nicht Halt gemacht. Wenn ich Romanisch verstehen würde, wäre da viel Mitsingcharakter drin. Die Keyboards sind verdammt unterhaltsam.

Plonto d’untgiba
Yeah, da kommt eine sehr tanzbare Nummer. Also das mit den Refrains haben die Jungs im Griff. Ausserdem groovts ganz gut.

Glina pleina
Uh, der gäbe ein cooles Sample ab für einen Raptrack. Da muss ich echt mal nachfragen, ob ich den zupfen dürfte. Gut, das Lalalala prickelt nicht so richtig. Dafür ist die Strophe mit recht spezieller Rhythmik ausgestattet. Ein schönes Keyboard-Solo noch dran. Das passt!

Revoluziun
Oh yeah, jetzt wollen sie es wissen. Endlich ein richtiges Brett. Irgendwie höre ich hin und wieder einen Farbtupfer May Day und Tyte Stone, dies aber als Kompliment, weil die verrockte Art den Jungs recht gut steht.

Mia amitga
Ich bekunde leichte Schwierigkeiten beim Abtippen der Titel, aber jetzt habe ich ja Zeit, denn die Ballade verzaubert und umschmeichelt, nur auf den Refrain triolisch richtig gekonnt zu brechen. Hätte ich jetzt auch noch gerne geschrieben was in dem Stil.

Umens d’ozildi
Das blöde an den Titeln ist, man weiss nie was einem erwartet. Erst recht nicht, wenn solche Sprachbarrieren stehen. Doch auf den hier habe ich gerne gewartet. Der treibt ganz schön nach vorne und war sicher ein Knaller bei den Konzerten. Der Bassist ist kaum noch zu stoppen. Yeah.

Renconuschientscha
So, jetzt noch mal der typische 80er Rock. Die Triolen haben es dem Drummer ziemlich angetan. Aber sie vermögen durch die saubere Spielweise absolut zu überzeugen. Die Synthies machen es zu einer leicht abgespaceten Angelegenheit. Doch das Monsterriff bestimmt bis zum Schluss die Richtung und lässt den Song recht knallen.

Daners, daners
Oh, der ist gut. Schöne akustische Gitarren mit viel Drive. Ein schönes Zwischenspiel der elektrischen, und eine Hook bei der ich sogar sofort mitsingen kann. Sehr gelungen.

Mumma
Jetzt bin ich verwirrt. Hier hätte ich eine Ballade für die Mutter erwartet, aber ich glaube, das ist eher eine Entschuldigung an die Mutter von ein paar Bad Boys. Auf jeden Fall ein gelungener Abschluss für das Debüt und sogar einer der besten Tracks bisher. Schöne Harmonien im Refrain, starker Rock nach vorne. Ich fühle mich ein wenig an May Day zu Uftaut Zeiten erinnert.

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Sper via 1986

Speronza
Hui, bei der zweiten Scheibe ist gleich mehr Hunger vorhanden. Noch schneller, noch rockiger, noch mehr nach vorne. Das funktioniert und catcht mein Ohr sofort. Cooler, imposanter Einstieg. Wo hat denn der Gitarrist auf einmal so spielen gelernt?

Vul aunc empruar inaga?
Haha, erster Gedanke Eurodance. Doch ich lag zum Glück falsch. Das Klavier führt zum Bombast-Rockrefrain. Ich denke, die haben zu dieser Zeit viel Queen gehört. Aber interessant umgesetzt. Auch die Stimme des Sängers ist hier ausdrucksstärker. Höre ich da noch eine Frau?

Creis ti?
Allgemein haben die Jungs in den zwei Jahren rechte Schritte nach vorne gemacht. Während beim ersten Album alles noch so zufällig wirkt, sitzt hier alles am richtigen Ort und soll so tönen. Diese Nummer hier ist vor allem dank der Ohoh-Chöre noch recht attraktiv zum Hören.

La larma
Den begreife ich jetzt nicht. Klar, super gesungen, aber es kommt nicht wirklich bei mir an. Ist noch schwierig, vielleicht ist es die komplexe Rhythmik, die mich hier ratlos lässt. Speziell.

Neu ord tia perschun
Dafür ist dieser hier wieder feinster Rock wie ich ihn gerne habe. Der Refrain ist echt lustig. Ich würde tanzen, wenn ich könnte.

Ti has detg a mi
Also ganz erklären kann ich es mir nicht. Beim ersten Album klang es ein wenig zusammengewürfelt, jetzt ist es auf einen Schlag semiprofessioneller Rock. I like.

Mo in plaid
Wieder fühle ich mich an May Day erinnert. Haben die echt damals auch ein wenig zusammen gespielt. Es ist einfach Vorsicht geboten, bei einer solchen Soundwand im Hintergrund, geht der Sänger fast unter. Doch er singt sich um Leib und Seele

Ich teile diese Bündner Perle in zwei Teile, da es schliesslich auch sage und schreibe drei Tonträger voller Musik sind. Wie es weiter geht und was ich über die Jungs rausfinde, wenn mein Router wieder funktioniert, erfahrt ihr zur gleichen Zeit am gleichen Ort, sprich nächsten Mittwoch auf GRHeute. Bis in Kürze!

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Chris Bluemoon

Redaktor Kultur
Hauptberuflich Radio-Journalist mit viel Leidenschaft für die Musik, die Poesie und das ganz grosse Chaos.