Bündner Perlen: «Funkspruch – Demo» (2008)

Bündner Perlen: «Funkspruch – Demo» (2008)

Hin und wieder gibt es Platten aus Graubünden, die nie eine grosse Medienaufmerksamkeit erhalten haben oder vielleicht schon in Vergessenheit geraten sind. Dieses neue Gefäss, exklusiv auf GRHeute, wühlt durch alte LP-Kisten, entstaubt CD-Sammlungen und widmet grossen Werken eine kurze, aber ausführliche Plattenkritik mit einem gehörigen Schuss Nostalgie. Einerseits zur Erinnerung, anderseits zur Aufstockung jeder Tonträgersammlung, aber vor allem um aufzuzeigen, welch vielfältige Bündner Musikszene wir doch haben.

Diese Perlen dürfen in keiner kompletten Bündner Musiksammlung fehlen. Willkommen zu den Bündner Perlen.

2008 war für mich ein grosses Jahr. Ich lernte ständig neue Bands kennen und erstmals stellte ich einen Sampler auf die Beine. Diese CD wurde dann auch kräftig betourt. Also, kräftig betourt ist fast ein wenig übertrieben. Wir haben im Krempel Buchs getauft, im Kulturhaus Chur und im Holästei in Glarus gespielt.

Irgendwo kurz vor dem Bock uf Rock – Release im August lernte ich die Band Funkspruch kennen. Sie interessierten mich brennend, da sie wie May Day aus Zizers stammten und eben auch Mundart sangen. Da waren ein paar Songs und diese Biografie auf mx3, die mich dazu verleiteten, mich bei ihnen zu melden.

Bandbio auf mx3.ch

Es begann alles im Mai 2006, an den Workshoptagen der Oberstufe in Zizers.
Bei der Anmeldung für die verschiedenen Workshops meldeten sich einige talentierte Schüler, welche Instrumente spielten und ein paar Sänger. So ist die damals unbenannte Schülerband entstanden, welche drei Sänger/innen, drei Gitarristen, einen Bassist, einen Drummer, einen Pianisten und einen Saxophonist umfasste. Einigen war nach dem Workshop klar, dass dies nicht das Ende sein sollte und sie selbst die Band weiterführen wollten. Nach drei Monaten stand die Band «Funkspruch» auf den Beinen, aber in gekürzter Version. Gesang: Toni Matzohl, die Gitarristen: Thomas Bernhard und Sonja Gantenbein, Lead Gitarre: Patric Battaglia, am Bass: Joel Jans und am Schlagzeug: Patrick Däscher.

Auf Anfrage bei der Gemeindeverwaltung Zizers bekamen sie einen Proberaum im Schulhaus zur Verfügung, welchen sie komplett nach ihren Wünschen gestalten durften. Nachdem der Raum musiktauglich gemacht wurde und das nötige Equipment untergebracht wurde, legten sie schnell los.

Doch schon nach kurzer Zeit verliess Thomas Bernhard die Band wegen Meinungsverschiedenheiten, was sich allerdings nicht als einen gewaltigen Verlust heraus stellte. Funkspruch konnte sich nun nach eigener Meinung entfalten und kam rasch voran. Sie hatten ein enormes Potential und waren sehr produktiv, es entstand ein Lied nach dem anderen. Die Band war extrem stolz darauf und ist es heute noch, dass es keine kopierten Lieder waren, sondern eigene Kreationen.

Bald schon hatte sich ihre Mühe bezahlt gemacht. Im März 2007 spielte Funkspruch zusammen mit anderen Bands am Kantiball in Chur. Somit hatten sie einen grossen Sprung gewagt und lernten das Leben auf der Bühne kennen. Sie waren jedoch von dem Resultat enttäuscht, was Zweifel an einzelnen Musikern aufbrachte. Die Gitarristin Sonja musste die Band kurz darauf verlassen. Es erfolgte anschliessend auch ein Wechsel am Bass, Joel wurde durch Johann-Peter «Tschei-Pi» Tscherry ersetzt. Dies gab Funkspruch einen grossen Aufschwung. Es verging nicht viel Zeit und schon hatten sie erneut die Möglichkeit, live aufzutreten. Nämlich an einem Gastauftritt an der Schülermodeschau der Oberstufe Zizers. Da machte sich das Fehlen von Sonja bemerkbar und sie wurde wieder in die Band aufgenommen. Der Auftritt an der Modeschau war ein voller Erfolg. Sie konnten sich im Dorf einen Namen machen und begeisterten Jung und Alt mit ihrer Musik. Es erfolgten viele weitere Lieder, welche nun auf CD aufgenommen wurden. Mit dem neuen Gitarristen Raffi Maissen werden die Songs nun noch qualitativer und alle Wege stehen offen.

Das schindete bei mir Eindruck. Denn auch ich wollte in die grosse Welt mit meiner Band Virus of the Cactus. So traten Toni Matzohl und ich in Kontakt und wir tickten gleich. Er lud meine Band ein, am Zizerser Herbstmarkt aufzutreten, was wir natürlich gerne annahmen. Damals war unser Schlagzeuger Harry Müller (heute The Three Sum) auch aus Zizers, so entwickelte sich das zu einem regelrechten Heimspiel für ihn. Fast wichtiger war, das ich durch diesen Event eine damals noch recht frische und unbekannte Band kennenlernte: 77 Bombay Street.

Eigentlich ist es Funkspruchs Schuld, dass ich bereits vor ihrem Durchbruch mit der Multiplatinum-Band zu tun hatte und sie nachher als erster offiziell auf einen Tonträger pressen konnte. Danke!

Wir tourten dann, als Bock uf Rock rauskam, einmal quer durch die Ostschweiz, und es war ein Freudenfest. Unvergesslich war für mich auch der Silvester 2008/09, den ich mit Toni halb in Zizers und halb in Chur verbrachte. Es roch nach Sturm und Drang und wir beide fühlten uns so, als könnte uns bald die ganze Welt gehören. Wir gaben Vollgas für unsere Bands, doch der Weg von uns zwei ging irgendwann auseinander, was sicher ein wenig dranlag, dass Funkspruch sich plötzlich auflöste. Ich hatte danach mit der Nachfolgerband Kaleidoskop intensiven Kontakt. Aus dieser entstand dann auch ein wenig später die Band Head Smashed, mit der ich heute noch regelmässig Konzerte spiele.

Die Zeit ist zum Teil ein wenig unfair und geht rasch vorbei. Doch sind es die ersten Karrieresteps und die ersten positiven Resonanzen und Unterstützungen von Bands wie Funkspruch, die ich heute konserviert in einem kleinen Glässchen in meinem Kopf mit mir herum trage. Dank Leuten wie ihnen habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, junge Talente zu fördern, egal, ob jemals was draus wird. Für diesen Anstoss und meine persönlichen ersten goldenen Jahre bin ich heute sehr dankbar. Deshalb ist die erste Demo-CD der Band für mich heute eine echte Perle. Schade, dass diese Band so früh aufgehört hat. Ich habe in ihnen schon die May Day-Nachfolger gesehen.

Zurück zur Musik:

«Fakt isch» fängt langsam an, trieft voller Nostalgie und verwandelt sich auf den Refrain hin zu einer griffigen Midtempo-Nummer. Den fühle ich immer noch sehr, da Toni in dem Track seine lyrische Faszination zum Ausdruck bringt. Schreiben kann wie eine Terapie sein. Hier ist ein Motivationsspritze gegen Schreibblockaden.

«Du fehlsch miar» ist für mich einer der stärksten Songs der Band, den ich wahrscheinlich sogar einmal covern werde, wenn ich es dann darf. Eine melancholische Ballade, die vom Zusammenspiel der Band perfekt auf einander abgestimmt, ganz tief unter die Haut geht. Die Backings von Sonja Gantenbein auf dem Refrain geben dem Track noch einen zusätzlichen Schuss Gänsehautmomente. Ausserdem hört man hier erstmals, welch grossartiger Drummer Patrick Däscher damals schon war. Grosses Kino einer damals noch recht neuen Band.

«Mach d’Auga uf» war der Track, den ich für Bock uf Rock Vol. 1 picken durfte. Es ist eine richtige Aufstellhymne, die auch heute noch sehr viel Freude beim Hören bereitet. Ich hatte damals schon Mühe, positive Texte zu schreiben, Toni hat es hier bewiessen, wie es auch anders gehen könnte.

«D’Sunna schiint» ist der Good-Feel-Moment und eine Ode an den Sommer, die mitschunkeln lässt und auf den Refrain hin zum Mitsingen animiert und ganz heftig abrockt. Coole Sache.

«Seg miar wieso» ist ähnlich wie «Du fehlsch miar» doch noch ein bisschen mit einer anderen Thematik. Der erste Song ist voller Hoffnung und Sehnsucht. Dieser hier ist voller Verzweiflung, aber auch abwechslungsreich gestaltet.

Die Punkrockhymne «Bis an Rand vo dera Welt» ist wahnsinnig schnell und zeigt eine weitere Facette der Zizerser Band. Nicht so imposant wie die vorgängigen Tracks, aber ok.

«Stilli Gedanka» schliesst die zu kurze CD ab mit einer verträumten Ballade, die den Hörer ein letztes Mal an Tonis Lippen hängen lässt. Denn der Junge hat echt was zu erzählen. Im Zwischenteil wirds dann extrem ruppig und experimentiell. Doch die Ballade verliert sich nicht in dem Rockmischmasch, sondern findet den Weg zurück zur pathosgetränkten Geschichte. Cool!

Schlussfazit: Auf der Demo-CD von Funkspruch hört man eine Schülerband, die auf dem Sprung war, eine grosse Nummer für den Mundartrock in Graubünden zu werden. Auch wenn die Qualität der Musiker natürlich über die Jahre noch etwas besser geworden wäre, muss man sagen, dass sie sich viel zu früh aufgelöst haben. Das Potenzial der Band hängt an jeder Note und hätte in der Zeit noch viel grösser werden können. Es bleiben 28 Minuten und 30 Sekunden, die es immer wieder wert sind zu hören und die Hoffnung, dass irgendeine Band es irgendwann vielleicht doch wieder mit Mundartmusik versucht.

Die CD bleibt ein letzter Zeitzeuge, dass Mundartmusik in Graubünden nicht nur in dem Genre Rap funktionieren kann oder von May Day kommen muss.

 

(Bild: Funkspruch in ihrer letzten Besetzung/zVg.)

author

Chris Bluemoon

Redaktor Kultur
Hauptberuflich Radio-Journalist mit viel Leidenschaft für die Musik, die Poesie und das ganz grosse Chaos.