Skifahren für 222.– – auch bei uns?

Skifahren für 222.– – auch bei uns?

Kann man Saisonkarten für 222 Franken verscherbeln? Ja man kann. Hat man damit Erfolg? Wahrscheinlich schon – Saas-Fee macht es gerade vor.

222 Franken. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: 222 Franken. Für eine ganze Saison Skifahren! Und möglich macht das nicht Wish.com, Dein Deal oder sonst eine dieser einschlägigen Websites, sondern ein findiger Bergbahnen-Chef: Rainer Flaig. Rainer Flaig ist im Bündnerland kein Unbekannter, hat er doch bis 2010 die Geschicke der Bergbahnen Lenzerheide gelenkt.

Natürlich ist die Aktion durchgerechnet, schliesslich ist die Preisreduktion – ein Saisonabo kostet normalerweise über 1000 Franken – kein Geschenk, sondern Kalkül. Erstens wird die WinterCard über Crowdfunding verkauft. 99’999 Menschen müssen eine gekauft haben, damit die Aktion zum Tragen kommt. Zum Zweiten: Eine Viertageskarte kostet normalerweise 259 Franken. Letztes Jahr verzeichnete Saas-Fee 125’ooo ankommende Wintergäste, die durchschnittlich vier Tage blieben. Wenn also 99’999 Menschen eine Karte für 222 Franken kaufen, macht das nach Adam Riese über 22 Millionen Franken – Geld, mit denen die Bergbahnen kalkulieren können. Der aktuelle Stand liegt bei über 22’000 verkauften WinterCards. «Wir sind voll auf Kurs und sehr zuversichtlich, dass wir die Zielgrösse in den nächsten vier  Wochen erreichen», sagt Rainer Flaig.

Die Idee ist auch aus Sicht der Publicity so gut, die hätte auch von Graubünden Ferien stammen können. «Ich finde die Aktion auch gelungen», sagt Martin Vincenz, CEO von Graubünden Ferien. Da die Aktion aber noch nicht zu Ende sei, sei ihm eine abschliessende Beurteilung nicht möglich. Aber: Mit dem Dorftelefon in Tschlin oder «The Great Escape» hätte Graubünden Ferien auch schon Aktionen lanciert, die international grosse Beachtung gefunden hätten. Würde Vincenz zu solchen Aktionen raten? «Ich denke, es ist nicht sinnvoll, die Aktion von Saas-Fee zu kopieren, denn eine solche Kampagne lebt von ihrer Einzigartigkeit und hat Erfolg, weil sie neu ist. Ausserdem unterscheiden sich die Skigebiete in Graubünden stark voneinander, was die Grösse und Bedürfnisse der Kundschaft betrifft.»

«Fasziniert» zeigt sich auch Yvonne Brigger, Geschäftsführerin der Interessengemeinschaft Tourismus IGT.   Das Foundraising schaffe eine Community-Bildung und damit auch eine neue Form von Zielpublikum. «Das ist sehr clever.» In Graubünden könnte eine derartige Aktion vor allem für kleinere Skigebiete interessant sein.

«Mut und Wille»

Rainer Flaigs Abgang auf der Lenzerheide war mit einigem Getöse verbunden – hatte er schon damals derartige Ideen und konnte sie nicht umsetzen? «Die realisierten Integrations- und Fusionsprozesse zeigten mir einmal mehr deutlich auf, dass es nicht nur einen gesunden Menschenverstand braucht, um Veränderungen voranzutreiben, sondern es braucht auch weitere kreative Ideen, damit sich die Branche nicht stehen bleibt», sagt Rainer Flaig. «Es braucht insbesondere Mut und Wille, auch unpopuläre und kreative Entscheide zu treffen und diese auch konsequent umzusetzen.»

Und was schlägt ein Rainer Flaig seinen Ex-Kollegen aus dem Bündnerland vor, wenn die Saison schlecht und die Erträge niedrig sind? «Was wir vermehrt brauchen, ist eine neue Sicht der Wirklichkeit. Die Einsicht, dass vieles zusammenhängt, was wir getrennt sehen; dass die sich verbindenden unsichtbaren Fäden hinter den Dingen für das Geschehen im Handeln des Gastes oft wichtiger sind als die Dinge selbst. Klugheit, Wissen und politische Gruppierungen und taktieren reichen dafür nicht mehr aus. Doch einige reagieren mit unerbittlichem oder angstvollem Festhalten am Bisherigen, an festgefahrenen Strukturen, Preismodellen und Digitalisierung im Tourismus. Diese Reaktion ist menschlich, aber sie bringt uns leider nicht vorwärts. 
Die Dinge so weiter zu betreiben, wie man sie bisher gemacht hat, versteift eine Organisation und blendet die Bedürfnisse des Gastes aus.»

Rainer Flaig ist sich sicher: Sollte sein Modell Schule machen, werden sich garantiert andere Skigebiete an ihn wenden, um von seinem Know-How zu profitieren.

 

(Bild: GRHeute)

 

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Rachel Van der Elst

Redaktionsleiterin/Region
Rachel Van der Elst mag Buchstaben: analog, virtuell oder überall, wo Menschen sind. In einem früheren Leben arbeitete sie unter anderm bei der AP, beim Blick, bei 20Minuten, beim Tages-Anzeiger und bei der Südostschweiz. In ihrer Handtasche immer dabei: Jasskarten.