Tourismus.Total: Und was jetzt?

Tourismus.Total: Und was jetzt?

Pascal Jenny
18.10.2016

Erinnern Sie sich noch an folgende Aussage?

„Wir können nicht mehr jedes Tal mit dem öffentlichen Verkehr erschliessen, Brücken bauen für 200 Einwohner.“

Ich behaupte, die meisten haben keine Ahnung, wer dies gesagt hat und in welchem Zusammenhang. Es war Andreas Züllig, Präsident von Hotelleriesuisse, der mit diesem Satz kurz vor dem Nationalfeiertag 2016 provozierte.

Die Botschaft von Züllig war natürlich keineswegs neu, aber brisant wie seit jeher. In meiner Funktion als Präsident der Tourismus-Partei.ch nahm ich dieses heisse Eisen bereits vor Jahresfrist auf und hielt im Namen des Vorstandes der damals neu gegründeten Input-Partei folgendes fest: «Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit (welchen Tourismus können und wollen wir uns in der Schweiz noch leisten?) geht es nicht nur um Neues, sondern auch um alte Zöpfe. Was z.B. seit Jahrzehnten nicht funktioniert, hat keine Daseinsberechtigung mehr und gefährdet letztlich den Wohlstand und die Reputation der Schweiz insgesamt.»

In den Bündner Medien und der heimischen Politik wurden die Forderungen Zülligs von A-Z in der Luft zerrissen. Im Gegensatz dazu stehen die Reaktionen ausserhalb der Bergkantone. Bei einer Onlineumfrage des Tages-Anzeigers war ein Drittel der Teilnehmenden der Meinung, man solle gewisse Täler «im grossen Stil» aufgeben. Spannend, nicht? War da nicht was mit Blick auf die damalige Abstimmung zu den Zweitwohnungen? …

Meines Erachtens wurden sowohl wir als Tourismus-Partei.CH vor einem Jahr als auch Züllig vor zwei Monaten richtig zitiert, aber falsch verstanden. Es geht doch keineswegs um die Aufgabe abgelegener Täler. Vielmehr wird der (notwendige!) Schritt zurück einer nach vorne sein. Die Faszination abgelegener Gebiete kann durch eine geschickte Re-Naturierung sogar gesteigert werden. Die Tourismusförderungs-Strategie unseres schönen Landes muss dual sein und beide Kundenbedürfnisse fokussiert befriedigen: Action und Wellbeeing pur in wenigen grossen, auch international konkurrenzfähigen Tourismusdestinationen und Städten. Im Gegensatz dazu Erholungs- oder Abenteuer-Ferien in den naturbelassenen oder renaturierten Gebieten. Statt ellenlange Wischiwaschi-Positionierungs-Debatten in und zu jedem Tourismusdestinatiönchen braucht es einen Masterplan, der die Tourismusgebiete klar und scharf unterteilt und danach gezielt entwickelt. Der Schritt zurück wird für viele Gebiete die einzige Überlebensstrategie sein und damit endlich ein Schritt nach vorn.

Mit Blick auf den Titel «Und was jetzt?» sind nun aber konkrete Umsetzungsmassnahmen gefordert. Genauso schnell wie die Aussagen der Tourismus-Partei.CH und das «temporäre Feuer» von Andreas Züllig die Medien und die Reaktionen Betroffener hochschnellen liessen, ging man auch wieder zum Alltag zurück. Darin spiegelt sich unsere Handlungsunfähigkeit. In meinen Augen hat in den letzten Jahren weder unsere Regionalpolitik noch das Amt für Wirtschaft und Tourismus oder die Zusammentreffen der kantonalen Tourismusdirektoren – zu denen GRF und AWT regelmässig einladen – Schritte nach vorne oder wie skizziert nach hinten angedacht, geschweige dann riskiert.

Deshalb fordere ich meine Tourismusdirektoren Kollegen auf, die Inhalte der wichtigsten Diskussionspunkte  – und nicht die von den Medien suggerierten und plakatierten Extrem-Positionen – aufzunehmen und innert Jahresfrist zu einem Regionen übergreifenden Massnahmenplan zusammenzufügen. Wer könnte dies besser, als die Destinationschefs, die anlässlich der aktuellen Wertschöpfungsrückgänge längst auch radikalere Neuausrichtungen für die eigenen Ferienregionen im Kopf haben?

Kommentar

Lieber Pascal

Wie recht Du doch hast!

Ein spannendes, aber auch hoch emotionales Thema, das Du da aufgenommen hast. Aber Du bringst mich natürlich auch in «Teufels Küche», da ich nun auf die Worte meines Mannes hin reagieren muss. Doch alle, die mich persönlich kennen, wissen dass ich eine «Macherin» bin. Daher bin ich persönlich der Meinung, dass es nun wirklich Zeit ist, die Herausforderung anzunehmen, um nicht mehr zu viel Zeit mit Grundsatzdiskussionen zu verlieren. Die Welt um uns herum dreht sich immer schneller: Vor neun Jahren kam das erste Smartphone auf den Markt. Keiner konnte damals ahnen, welche Auswirkungen dieses Handy (ohne Tasten) sowohl auf neue Geschäftsmodelle als auch auf unser Konsumverhalten hat. Facebook, Whats App, Uber, & Co. sind erst durch diese technologische Innovation in solchem Ausmass entstanden. Heute ist es selbstverständlich, dass man kurz auf seinem «smarten Phone» die Wettervorhersage, den Pistenzustand auf der Livecam oder die Events der Region für das kommende Wochenende anschaut, und erst wenn auch alle diese Komponenten stimmig sind, wird das passende Hotel mit dem attraktivsten Preis gebucht.

Und der nächste technologische Quantensprung steht schon vor der Türe: Unter dem Schlagwort Industrie 4.0, Internet der Dinge und Big Data werden neue Dienstleistungen entstehen, die unser Konsumverhalten und damit das unserer Gäste nochmals komplett und nachhaltig verändern werden. In dieser schnelllebigen Zeit werden nur jene überleben, die sich im Markt klar positionieren und sich bestens vernetzen. Ohne gemeinsame Kooperationen und Vernetzungen werden wir diese Herausforderung in Graubünden nicht schaffen. Somit gilt es für uns alle, nicht in Angststarre zu geraten, sondern diese Entwicklung als Chance zu erachten und die neuen technologischen Möglichkeiten für den Tourismus zu nutzen und schnellstmöglichst gemeinsam umzusetzen.

Anstatt sich die Frage zu stellen: «Was jetzt?», sollten wir uns aber auch an die Werte und die Grundsätze der Pionierzeiten des Tourismus zurückerinnern: Es muss uns Leistungsträgern gelingen, unsere Gäste mit einzigartigen, unverwechselbaren Dienstleistungen und mit ehrlicher Empathie zu verblüffen und den Bündner Gästen Erlebnisse und Werte zu bieten, welche sie sonst in ihrem hektischen Alltag nicht erleben können. Solche Erlebnisse sind in ganz Graubünden erlebbar – auch in den entlegensten Gegenden Graubündens! Packen wir also die Chance gemeinsam an, ganz nach dem Motto: Nur gemeinsam sind wir stark!

Claudia Züllig-Landolt
Gastgeberin Hotel Schweizerhof Lenzerheide

 

 

Die Tourismus-total-Expertenrunde von GRHeute berichtet und kommentiert einmal wöchentlich über aktuelle Tourismusthemen für Graubünden. Unverblümt und direkt von der Front. 

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Pascal Jenny

Kolumnist Tourismus
Kurdirektor Arosa und Präsident Tourismus-Partei.CH