Das wars. Was jetzt?

Das wars. Was jetzt?

Die WM ist für die Schweiz vorbei. Nach der Niederlage gegen Tschechien müssen sich die Schweizer mit dem ungenügenden 11. Rang zufrieden geben. Woran lag es, dass die Schweiz bereits in der Vorrunde scheiterte?

Gegenfrage: Wer hat eigentlich entschieden, dass die Schweiz ein Top Team ist, dass über die kleinen Gegner hinwegfegt und die grossen Nationen ärgern kann? Wer hat das Wunder von Stockholm zum Erwartungs-Standard gemacht?

Zur Erinnerung: Seit 2006 haben wir fünf Mal die Playoffs erreicht. Dabei resultierten vier Niederlagen in den Viertelfinals, unter anderem gegen gegen Deutschland (2010). Einzig in Schweden, beim Wunder von Stockholm, konnten die Schweizer in diesem Jahrtausend einen Playoff-Sieg feiern. Sechs Mal verpassten die Eidgenossen die Finalrunde.

Einen Schritt weiter? Gerne: In den letzten 20 Jahren hat die Schweiz genau zwei Mal ein Viertelfinal-Spiel gewonnen. Neunmal resultierte eine Niederlage, und zehnmal wurde die Endrunde gar nicht erreicht. Das liest sich definitiv nicht wie eine Erfolgsgeschichte. Wieso also die Erwartungen, dass wir besser als die anderen kleinen Nationen sind?

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(Rot=Vorrunden-Aus, Schwarz=Viertelfinal-Out, Grün=Halbfinal-Out)

Im Durchschnitt hat die Schweiz in den letzten 20 Jahren mittelmässige Resultate erzielt:

2012-2016: Rang 8.4

2007-2011: Rang 7.6

2002-2006: Rang 8.6

1997-2001: Rang 8.4

 

Was sich zeigt: Die Schweiz hat in den letzten fünf Jahren das Fundament von Krueger zunichte gemacht. So einfach ist das. Ich bin wahrlich kein Fan von Ralph Krueger, aber man muss feststellen, dass die Resultate unter ihm konstanter waren und das Team eine Struktur hatte.

Patrick Fischer und Konsorten haben keinen schlechten Job gemacht, sie müssen sich aber auf was gefasst machen, denn die Ausgangslage war dieses Jahr so gut wie selten. Das aufgebotene Team der Schweiz könnte nicht viel besser bestückt sein. An olympischen Spielen, wenn alle Nationen aus dem Vollen schöpfen können, wird die Schweiz ein schwächeres Kader haben als an dieser WM (im Verhältnis zu den Gegnern).

Roman Josi hat gefehlt, genauso wie Leo Genoni. Ansonsten gibt es aber nur für wenige Spieler wirklich ein Argument für ein Aufgebot.

Mark Streit? Überwertet, über dem Zenit, und letzte Saison ein Schatten seiner selbst bei Philadelphia. Nein, die Selektion der Verteidigung war vertretbar.

Damien Brunner? Der klassische Schönspieler, der nur aufblüht, wenn die Competition tief ist. Brunner ist, ähnlich wie Julien Sprunger, gemacht dafür, Highlight-würdige Erfolge in der offenen und (sorry) weichen Schweizer National League A zu feiern. An einer WM gegen hungrige Gegner wie Dänemark und Norwegen ist Brunner fehl am Platz.

Thomas Rüfenacht? C’mon. Rüfenacht hat in seiner Karriere nie mehr als 14 Tore pro Saison erzielt, und in 30 Nationaleinsätzen hat der Berner Stürmer genau ein einziges Mal eingenetzt. Nein, Rüfenacht ist nicht auf WM-Niveau.

Kein Seger, kein Plüss, kein Gardner, kein anderer alter Spieler, der aus irgendwelchen Gründen aufgeboten wurde. Jeder Spieler erkämpfte sich einen Platz. Über die Selektion des Kaders kann man nichts sagen.

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Es gibt noch weitere positive Erkenntnisse: Die Coaching Staff hat einen genügenden Auftritt hinterlassen, so dass der SIHF nun endlich eine mittel- bis langfristige Lösung gefunden haben könnte. Die Spieler scheinen den Coaches zu vertrauen, und die Staff scheint den Eindruck zu machen, etwas Richtiges aufbauen zu wollen. Das Schlimmste wäre, wenn der Verband nun ein erneutes Trainer-Chaos veranstalten würde. Nein, ein Schläpfer wäre nicht besser. Und nein, das Debakel um Simpson braucht es nicht mehr. Und der andere, wie hiess er nochmals? Hanlon? Ja, das war auch zum Vergessen.

Fischi, RvA und Fige sind die richtigen Coaches. Das System muss noch mehr greifen, und einige Fehler müssen unbedingt ausgemerzt werden. Dann sieht die Zukunft der Schweiz nicht schlecht aus.

Und es gibt noch weitere Lichtblicke: Die NHL-Spieler haben uns sieben Spiele lang nach vorne getrieben. Die beiden Stürmer Niederreiter und Andrighetto waren die besten Akteure im Team und spielten einen Level höher als ihre Mitspieler. Ohne Niederreiter und Andrighetto wäre der Schweizer Sturm um einiges schwächer ausgefallen. Und in den nächsten Jahren könnten mit Timo Meier (San Jose Sharks), Joel Vermin, Tanner Richard (beide Tampa Bay Lightning), Kevin Fiala (Nashville Predators) und Sven Bärtschi (Vancouver Canucks) noch weitere Talente aus Nordamerika dazu stossen, so dass die Schweiz eventuell bald mal ein Team hat, dass im Schnitt mehr als 2.9 Tore pro Spiel zustande bringt. Wäre ja mal was.grh_wm2

Was man aber mit Sicherheit sagen kann: Reto von Arx muss als Coach des Box Plays grundlegend über die Bücher. Das Penalty Killing der Schweiz war desaströs. Wenn man an einer WM am meisten Zwei-Minuten-Strafen (hallo du Bois) aller Teams sammelt, sollte man ein solides Unterzahl-Spiel haben. Das Penalty Killing der Schweiz war mit 66.67% das Schlechteste am ganzen Turnier. Dead fucking last.

Die Chancenauswertung ist immer noch schwach. Eine Trefferquote von 8% reicht einfach nicht, um irgendwelche Stricke zu zerreissen. Vor der WM bereits ein Thema, hat es sich einmal mehr gezeigt: Wir haben ein Problem im Abschluss. Mit 20 Toren in 7 Spielen gewinnt man keinen Blumentopf.

Und im Tor gibt es viel zu tun. Reto Berra beendete das Turnier mit einer mageren Fangquote von 88.1%, und einem fetten Schnitt von 3.4 Gegentoren pro Spiel. Das sind mehr als unterdurchschnittliche Werte. Nur Ungarn und die Slowakei hatten noch schlechtere Goalie-Leistungen.

Und das Gejammer über die Schiedsrichter muss aufhören. Das sind Anzeichen einer Loser-Mentalität. Wer denkt, dass wir wegen den Schiris gegen Schweden verloren haben, sollte einsehen, dass es die Schweiz in der Hand hatte, das Spiel früher zu entscheiden, dazu aber nicht fähig war. Das ist nicht die Schuld der Schiedsrichter. Abgesehen davon, dass es höchst unprofessionell wirkt, wenn man nach dem Spiel über die Leistung der Unparteiischen reklamiert. Und ich dachte unsere Spieler haben alle Medien-Trainings bei ihren Teams. WTF.grh_wm1

Woran lag es also, dass die Schweiz zum vierten Mal in den letzten sechs Jahren in der Vorrunde scheiterte?

An der Blindheit, die heutige Situation im internationalen Eishockey zu erkennen. Das führte dazu, dass wir gegen die vier vermeintlich kleinen Gegner in unserer Gruppe nur einen einzigen Sieg nach 60 Minuten feiern konnten und insgesamt fünf von 12 möglichen Punkten vergeigten.

Wir machen eigentlich vieles richtig. Die anderen Nationen machen es aber zur Zeit besser. Zyniker sagen: «Wäre doch bloss nicht das Wunder von Stockholm geschehen, dann würden wir nicht ein derart falsches Bild von uns haben.» Die Aussage ist nicht abwegig, denn der Silber-Erfolg trübt tatsächlich die Objektivität. Der Beweis? Zwei Entwicklungen sind im letzten Jahrzehnt passiert:

Erstens: Die Schweiz hatte sich auf den 8. Platz geschlichen, und ein halbes Jahrzehnt lang diesen Rang konsolidiert. Die Rede war immer davon, dass die Schweiz (und die Slowakei auf dem 7. Rang) bald den Anschluss an die Top 6 schaffen werden. Das ist nicht geschehen. Die Kluft zwischen den Grossen und uns wurde nicht merklich kleiner. Noch immer werden wir von den Big Dogs oft dominiert, und teilweise demontiert.

Zweitens: Die Kluft, die effektiv kleiner wurde, ist hinter der Schweiz. Wir haben es nicht geschafft, uns von den anderen kleinen Nationen zu distanzieren. Das Gegenteil ist eingetroffen: Frankreich, Deutschland, Lettland, Dänemark, Weissrussland, Norwegen, Österreich, Kasachstan haben aufgeschlossen und uns alle mindestens einmal bezwungen. Wir können die kleinen Teams nicht mehr als klein betiteln, denn sie sind mit der Schweiz absolut auf Augenhöhe.

Das sind die Viertelfinalisten der letzten sechs Jahre (nebst den Top 6):

 

2016  Deutschland und Dänemark

2015  Weissrussland und Schweiz

2014  Weissrussland und Frankreich

2013  Slowakei und Schweiz

2012  Slowakei und Norwegen

2011  Deutschland und Norwegen

 

Es ist an der Zeit, dass wir die Augen zu öffnen. Die Schweiz hat in diesem Jahrzehnt nur zwei Mal das Viertelfinal erreicht. Weissrussland, die Slowakei, Deutschland und Norwegen haben in dieser Zeit gleich viel erreicht. Die Wahrheit ist: 2013 war eine Anomalie. Die Schweiz ist nicht mehr besser als diese anderen kleinen Nationen. Es wirkt arrogant, wenn man die Stimmen zum Spiel (von Fans, Verantwortlichen und Spielern) liest: Anscheinend sind wir nur einen Atemzug hinter der Weltspitze. Die anderen kleinen Nationen werden hingegen belächelt, und ein Sieg gegen diese Hockey-Nobodies ist eine Selbstverständlichkeit.

Die Aussage «Die Schweiz ist ein Top-8 Team» ist eigentlich falsch, denn der Begriff «Top-8» ist nicht ein Synonym für den 8. Rang. Die Kluft zwischen uns und den Big-6 ist praktisch immer noch gleich gross, die Kluft zwischen uns und den anderen kleinen Nationen ist aber verschwunden. Wir sind in einen Kampf verwickelt, der sich zwischen dem 7. Rang und dem 14. Rang abspielt. Das ist die Realität. Die Schweiz muss vom hohen Ross herunterkommen und anfangen, alle Gegner gleich ernst zu nehmen. Es gibt keine leichten Spiele, keine Must-Wins mehr.grh_wm5

Was es braucht, sind mehr junge Talente, die möglichst viel Eiszeit an der WM erhalten, um sich so der NHL präsentieren zu können. Der Vorteil ist klar: Je mehr Spieler die Schweiz in die NHL bringt, desto mehr Schweizer erreichen das Niveau von Josi, Niederreiter und Andrighetto. Ein guter NLA-Spieler genügt vielleicht, um den Deutschland Cup zu gewinnen. Es ist aber für eine heutige, ausgeglichene WM nicht mehr genug, denn die anderen kleinen Nationen sind auf unserer Augenhöhe angekommen.

Es ist nicht alles schlecht. Aber es ist Zeit, die Augen zu öffnen. Ansonsten werden wir weiterhin von «Kleinen» überholt.

 

 

(Bild: Robert Hradil, Melanie Duchene/EQ Images, Quelle: iihf)

author

Richi Brändli

Redaktor Eishockey
Ehemaliger Kolumnist bei GRHockey, Plausch-Spieler und Fan von regionalem bis internationalem Eishockey.

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