Eine Schlacht, aber nicht den Krieg verloren

Eine Schlacht, aber nicht den Krieg verloren

Juerg Kurath
29.02.2016

Das Verdikt am Samstagabend nach einer Nettospielzeit von 72 Minuten und 12 Sekunden auf der Pista di ghiaccio in Biasca war knallhart: Die Spieler des EHC Chur hatten im ersten Spiel des Playoff-Halbfinals von der ersten bis zur letzten Minute heroisch gekämpft, einen riesigen Aufwand betrieben und vieles richtig gemacht, leider aber einmal mehr unzählige Male das gegnerische Tor verfehlt bzw. den Puck nicht im Netz versenkt, so dass sie nach einem abgelenkten Verlegenheitsschuss von der blauen Linie am Schluss doch mit leeren Händen dastanden.

Trotz dieser bitteren Pille konnten die Bündner die späte Heimreise mit der halbwegs beruhigenden Gewissheit antreten, einem starken und cleveren Gegner alles abverlangt und bereits am Dienstag im Heimspiel im Hallenstadion die Chance zu haben, sich zu revanchieren, die Scharte auszuwetzen und somit die Serie auszugleichen.

Die Fans auf der Hinreise im völlig ausgebuchten Car über den San Bernardino waren sich nicht einig, ob die Woche Spielpause nach dem überzeugenden Erfolg im Playoff-Viertelfinal gegen den EHC Arosa für den EHC Chur nun eher ein Vor- oder ein Nachteil sein würde gegen einen Gegner, der immerhin am Dienstag und am Donnerstag in die Hosen steigen und seine Schlittschuhe hat binden müssen, um sich gegen einen aufsässigen und nie aufgebenden EHC Seewen schliesslich doch noch durchsetzen zu können.

Die Partie begann – aus unerfindlichen Gründen mit rund zehn Minuten Verspätung – sehr animiert und mit spielerischen Vorteilen für die Gäste. Trotzdem stand es nach dem ersten Drittel 2:2 unentschieden, denn die Einheimischen hatten ihre Chancen eiskalt ausgenützt und waren entgegen dem Spielverlauf zweimal in Führung gegangen. Das war es dann aber in der regulären Spielzeit auch schon mit dem Toreschiessen, obwohl eigentlich beide Teams, vor allem aber die Churer, noch zahlreiche Chancen hatten, zu scoren und die Partie so frühzeitig für sich zu entscheiden.

Schiedsrichterwechsel nach verhängnisvollem Sturz

Nachdem sie bereits in der Anfangsphase unglücklich auf den Rücken gefallen war und sich später nochmals unsanft aufs Eis gesetzt hatte, musste die Headschiedsrichterin Anna Eskola nicht ganz unerwartet in der 33. Minute das Handtuch werfen. Schmerzen aufgrund muskulärer Probleme im Rücken- und Nackenbereich sowie Schwindelgefühle führten dazu, dass sie das Spiel nicht mehr weiter leiten konnte.

Nach Absprache mit den Coaches beider Teams arbitrierten dann die beiden Linesmen Pascal Nater und Lars Nater vorübergehend die Partie, bis kurze Zeit später der aus der Gegend stammende Ersatzschiedsrichter Luca Boverio die Spielleitung – eine unzweifelhaft recht schwierige, aber keineswegs unlösbare Aufgabe – übernahm. Dessen Leistung war dann aber alles andere als souverän, glücklicherweise aber nicht spielentscheidend. Zudem nützten die Spieler die ihnen vom Schiedsrichtertrio gewährten Freiheiten nicht oder nur beschränkt aus, um ihr Mütchen an einem Gegenspieler zu kühlen.

EHC2

Während der EHC Chur das Spiel vor allem im ersten Drittel klar dominiert hatte, glich sich das Spielgeschehen im weiteren Verlauf der Partie immer mehr aus. Vor allem die Gäste bekundeten nun mehr Mühe, torgefährliche Aktionen zu kreieren, während die Biaschesi mit ihren vereinzelten blitzschnellen Kontern nach wie vor gefährlich blieben. Das Spiel verlor zunehmend an Gehalt und wurde immer konfuser und zerhackter. Trotzdem hätte die Mannschaft von Marc Haueter den Sack eigentlich zumachen müssen, wenn da nicht das leidige Problem der mangelnden Kaltblütigkeit          gewesen wäre, welche die Führung der tadellos kämpfenden, manchmal aber auch etwas kopflos anrennenden Churer verhinderte.

Vor allem Simon Scherrer, der kurz vor dem Spielende allein auf den gegnerischen Torhüter losziehen konnte und dann ungestraft durch zwei gegnerische Spieler von den Beinen geholt wurde, kann ein Liedchen davon singen. So kam es denn, wie es kommen musste. Die Tessiner verlagerten das Spiel in der Verlängerung – clever und ausgebufft, wie sie sind –  mehrheitlich in die Spielhälfte der Hauptstädter und erzielten ausgerechnet in der 13. Minute der Overtime aus einer ungefährlich erscheinenden Situation heraus den insgesamt doch eher glücklichen Siegestreffer.

Nach Spielschluss zeigten sich dann einige der vielen in den regnerischen Süden gereisten Fans des EHC Chur, die den Match zahlen- und auch stimmungsmässig dominiert hatten, leider wieder einmal von ihrer negativen Seite, indem sie Gegenstände auf das Eisfeld hinunterwarfen und die Schiedsrichter aufs übelste beschimpften. Nach einer Bierdusche durch die gegnerischen Fans und einigen sinnlosen Diskussionen kühlten sich die erhitzten Gemüter dann aber glücklicherweise wieder ab. Somit ging wenigstens das Kräftemessen zwischen den zwei Fangruppen unentschieden aus, wobei aber beide – aufgrund dieser Vorfälle – eine Minusbilanz aufweisen.

Weiterhin Optimismus bei den Churern

Marc Haueter zeigte sich nach dem Match – mit einigen Abstrichen – im Grossen und Ganzen nicht unzufrieden und durchaus angetan von der Leistung seines Teams. Wenig erfreut war er darüber, dass einige seiner Spieler in der Anfangsphase nicht bereit gewesen waren und dann vor allem – wen wundert’s? – wegen der schlechten Chancenauswertung. Über die Schiedsrichterleistung wollte er sich nicht gross äussern, denn er wusste, dass seine Spieler selbst allzu viele Chancen versiebt hatten.

Sportchef Andy Grothenn machte nach dem Match – in seiner bekannt nüchternen und trockenen Art – die durchaus ernst gemeinte Aussage, dass man nun dafür ja ein Heimspiel mehr habe. Bevor es aber soweit ist, müssen die Churer zuerst ihre Hausaufgaben machen und deshalb die Partie vom nächsten Dienstag unbedingt für sich entscheiden. Ansonsten wird es dann schon sehr schwierig, sich noch für den Playoff-Final zu qualifizieren.

Welcher Gegner dort wartet, ist derzeit noch unklar, denn der EHC Frauenfeld hat bei der knappen 2:3-Niederlage auswärts gegen den bisher souveränen EHC Dübendorf gezeigt, dass er sich nicht einfach so abschlachten lassen will. Für Spannung ist also gesorgt. Zu hoffen ist nun aber, dass diese ungewisse Ausgangslage am Dienstag viele Zuschauer – möglichst eine vierstellige Zahl – ins Hallenstadion locken wird, die dem EHC Chur die Unterstützung zukommen lassen, die er mit seinen Leistungen und seinem Einsatz zweifellos verdienen würde. Denn das Spiel in Biasca hat deutlich gezeigt, dass die Churer durchaus eine Chance haben, sich auch in einem engen Duell gegen diesen in wirklich jeder Hinsicht unangenehmen Gegner durchzusetzen. Und wenn Aufwand und Ertrag einmal stimmen sollten, ist für das Team von Marc Haueter wirklich (fast) alles möglich.

 

(Bilder: ehcfans.ch)

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Juerg Kurath

Redaktor Sport
Langjähriger Berichterstatter des Bündner Sports, der BZ und der SO. Aktiver, Trainer und Funktionär in Leichtathletik, Triathlon, Biken, Volleyball, Fussball, Korbball, Handball, Casting und Bob.