Si sait: Idioten gibt’s auch in der Schweiz

Si sait: Idioten gibt’s auch in der Schweiz

Er sait, si sait mit zwei unterschiedlichen Perspektiven zu «Taharrush gamea».

 

Ich trinke nie Alkohol an Grossveranstaltungen. Weder an Konzerten, an Partys noch an meinem heiss geliebten Open Air St. Gallen. Warum nicht? Weil ich im entscheidenden Moment stärker sein will.

Es war ein Abend im Selig in Chur, der mich dazu brachte. Ich war mit einer Freundin auf einer After-Show-Party der Schlagerparade. Wir tanzten. Wir tranken. Wir hatten Spass. Das war die eine Seite.

Die andere war: Wir wurden massiv bedrängt. Von Männern mit eindeutig keinem Migrationshintergrund. Je später der Abend, desto massiver der Bedrängungsgrad. Irgendwann strichen wir die Segel. Seither war ich nie mehr an der Schlagerparade – weil ich einfach keine Lust auf anzügliche Berührungen habe.

Wenn ich selten spätabends Zug fahre, dann setze ich mich nie allein in einen Wagen. Ich schaue immer, dass jemand in der Nähe ist. Zeugen, denke ich mir, verunmöglichen einen Täter. Wenn ich spätabends durch die Stadt laufe und mir ist unwohl dabei, telefoniere ich mit meinem Mann. Auch wenn der Akku leer ist.

Wer jetzt sagt, ich sei hysterisch, dem kann ich Folgendes sagen: Letztens erzählte mir eine junge Frau, wenn sie im Welschdörfli unterwegs sei, würde sie niemals ihr Bierglas aus der Hand geben. Und wenn sie damit herumläuft, dann deckt sie das Glas zu. Weil ihre Kolleginnen mit K.O.-Tropfen willenlos gemacht wurden.

Was an Silvester in Köln und anderen Städten passiert ist, ist in erster Linie das Werk von Idioten. Wer eine Frau oder Frauen bedrängt und sexuell belästigt, gehört geteert und gefedert.

Wir können uns jetzt auf die Täter von Köln stürzen, uns zurück lehnen und beruhigt sagen: Das waren Flüchtlinge. Das waren Männer, die unser Wertesystem nicht respektieren. Sie gehören ausgeschafft.

Aber das löst das Problem nicht. Denn Idioten gibt es überall. In Chur, am Open Air St. Gallen, im Gedränge des Zürichfestes. Bevor wir also anderen unser Wertesystem – und das ja zu Recht! – aufdrücken, müssen wir uns überlegen, welches Wertesystem einige von uns auch nicht respektieren.

Oder wie es eine deutsche Freundin von mir ausdrückte: «Ich frage mich, wohin wir eigentlich die ganzen Vergewaltiger und Schläger ausweisen sollen, die ihre Ehefrauen, Freundinnen und Töchter windelweich prügeln oder regelmässig vergewaltigen und deutsche Wurzeln haben?»

Vielleicht sollten wir alle mal #einearmlänge Abstand von uns selbst nehmen.

 

(Bild: Getty Images)

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Rachel Van der Elst

Redaktionsleiterin/Region
Rachel Van der Elst mag Buchstaben: analog, virtuell oder überall, wo Menschen sind. In einem früheren Leben arbeitete sie unter anderm bei der AP, beim Blick, bei 20Minuten, beim Tages-Anzeiger und bei der Südostschweiz. In ihrer Handtasche immer dabei: Jasskarten.