Kommentar: Wachstum ohne Nutzen

Kommentar: Wachstum ohne Nutzen

Der Schweiz wird auch in den kommenden Jahren von namhaften Ökonomen ein Wachstum von über 1 % pro Jahr vorausgesagt.  Der wichtigste Grund: die Zuwanderung. Diese Prognose wird positiv beurteilt. Wer näher hinschaut, wird schnell feststellen, dass das gegenwärtige Wirtschaftswachstum wenig mit Qualität und Wohlstandsverbesserung zu tun hat.

Gemessen wird das Wachstum an der Entwicklung des Brutto-Inland-Produkts (BIP). Das BIP ist ein Mass für die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft in einem bestimmten Zeitraum. Dieses hat sich in den letzten Jahren jeweils um mehr als 1 % erhöht. Sofern die Zuwanderung von jährlich netto 80’000 Personen anhalten sollte, dürfte sich das Wachstum in den nächsten 15 – 20 Jahren auf über 1 % bewegen, sagen die Experten.

Und sie haben wahrscheinlich recht: 80’000 Personen lösen grosse Zusatzbedürfnisse aus. Es wird mehr konsumiert, es braucht mehr Wohnungen, es braucht mehr Spitalbetten, es braucht mehr Schulen usw. 1 % mehr Leute ergeben 1 % mehr Bedürfnisse. Befriedigt man diese Bedürfnisse, so erzielt man damit 1 % Wachstum. So einfach ist die Expertenrechnung.

Scheinwachstum ohne Nutzen

Bei näherer Betrachtung stellt man schnell fest, dass dieses Wachstum für die ansässige Bevölkerung immer weniger Nutzen bringt. Dies zeigen die Zahlen der letzen Jahre deutlich: Während das Pro-Kopf-BIP von 1990 bis 2010 von 53’000 auf 78’000 anstieg, ist es seitdem stagniert, zwei Jahre sogar gesunken. Dies bedeutet, dass der Wohlstand der einheimischen Bevölkerung durch das Wachstum der letzten Jahre nicht gestiegen ist. Immer mehr spüren unsere Einwohnerinnen und Einwohner, dass das Wachstum der letzten Jahre ein rein quantitatives Wachstum ist und mit Qualität nichts zu tun hat. Oder etwas provokativer ausgedrückt: Die Mehrleistung unserer Volkswirtschaft wird für die zusätzlichen Zuwanderer erbracht, nicht für die hier ansässige Bevölkerung.

Wohlstand nimmt langfristig ab

Die auf zusätzliches Wachstum ausgerichtete Wirtschaftspolitik droht langfristig in ein Debakel zu führen.  Mit ihr verbunden ist ein massiver Ressourcenverschleiss,  eine Zunahme der Arbeitslosigkeit, Verkehrsüberlastungen, Zunahme der Kriminalität,  Überschuldung der Sozialwerke und anderes mehr.

Dies sei kurz an der AHV festgemacht: Eine Million zusätzliche Arbeitnehmer (sofern dafür die Arbeitsplätze vorhanden sind) ergeben kurzfristig mehr Beiträge in die AHV und damit eine Entlastung der AHV. Sie helfen mit, das Verhältnis Rentner-Arbeitende im notwendigen Verhältnis zur Finanzierung der AHV zu halten (rund 1:2,5). Warum nur kurzfristig? Weil die heutigen Zuwanderer irgendwann in Rente gehen. Dannzumal würde es für jeden von ihnen zusätzlich 2-3 neue Arbeitende brauchen, um deren Renten zu sichern. Oder in Zahlen ausgedrückt: 4 Millionen zusätzliche Zuwanderer, weil nur gut die Hälfte einer Arbeit nachgehen. Dass dies aus verschiedenen Gründen nicht möglich sein wird, leuchtet wohl ein.

Die gleichen Effekte wie bei der AHV lassen sich im Verkehrsbereich, im Gesundheitswesen und anderem mehr nachweisen. Wachstum durch zusätzliche Zuwanderung ist zum Scheitern verurteilt. Es gefährdet unseren Wohlstand in hohem Masse.

Qualität statt Quantität gefragt

Mit der zusätzlichen Zuwanderung der letzten Jahre marschiert die Schweiz im Schnellzugstempo auf eine Bevölkerungszahl von 10 Millionen Einwohnern zu. Mit verheerenden negativen Nebenwirkungen. Das Jubeln über das damit verbundene, jährliche Wirtschaftswachstum von über 1 % ist aus dieser Sicht mehr als zynisch. Es bedeutet: Kurzfristige Gewinne zu Lasten der zukünftigen Generationen, ganz nach dem Motto „après nous le deluge“.

Mit einer vernünftigen Regelung der Zuwanderung müssen wir endlich wegkommen von einer rein auf quantitatives Wachstum ausgerichteten Wirtschaftspolitik. Wer heute immer noch glaubt, unsere Probleme mit zusätzlichen Billigarbeitskräften und Scheinflüchtlingen aus dem Ausland zu lösen, ist auf dem Holzweg.

Damit ist nicht gesagt, dass wir nicht auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen sind. Es braucht aber eine Politik der Stabilisierung im Ausländerbereich. Dieses bedeutet, dass eine Begrenzung auf ein vernünftiges Mass unabdingbar ist. Persönlich bin ich der Meinung, dass die Zuwanderung die Zahl der Abwanderer nicht wesentlich übersteigen darf, sofern wir wieder geordnete Verhältnisse haben wollen.

Qualitative Wachstumspolitik

Selbstverständlich braucht es mehr als eine Beschränkung der Zuwanderung für eine qualitative Entwicklung in unserem Land. Vor allem gilt es, mit einer Ausbildungsoffensive unsere jungen Leute dazu zu bringen, die vorhandenen Arbeitsplätze auszufüllen. Dazu zwei Beispiele: Warum müssen wir Ärzte aus dem Ausland – wo sie auch gebraucht werden – abwerben, statt bei uns genügend Ärzte auszubilden? Warum werben wir Ingenieure und IT-Fachleute aus armen Ländern – wo sie auch gebraucht werden – ab,  statt die notwendigen Fachleute bei uns zu fördern? Auch dazu gibt es leider eine klare Antwort: weil das weniger kostet und kurzfristig die Gewinne höher sind! Es ist an der Zeit, dass wir diese kurzfristig ausgerichtete Wirtschaftspolitik ändern. Weil nur damit auch für zukünftige Genrationen, bei uns und in andern Ländern, positive Zukunftsperspektiven entstehen.

 

Christoffel Brändli
ehemaliger Bündner Volkswirtschaftsdirektor

 

(Bild: EQ Images/Moritz Hager)

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Christoffel Brändli

Kolumnist Wirtschaft/Politik
Ehemaliger Regierungs- und Ständerat. Passionierter Golf-Spieler.